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Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord
Autoren: Camilla Ceder
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Anzeichen ihrer Nervosität. Ansonsten ist sie ganz Pokerface hinter ihren schwarz geschminkten Augen und Lippen. Sie trägt eine schwarze Jeans, ein schwarzes Langarmshirt und Doc Martens. Am Bahnhof hat sie den Nasenring zunächst rausgenommen, um ihn zehn Minuten später doch wieder einzusetzen. Schwer zu sagen, wie sie wirken will, bevor sie die anderen gesehen hat.
    Am meisten hat sie Angst davor, das Zimmer mit jemand teilen zu müssen. Das ist auch die erste Frage, die sie der Frau am Steuer des VW-Busses stellt. Die Fahrerin antwortet mit einem versonnenen Lächeln, wenn es denn überhaupt ein Lächeln sein soll. Und My schämt sich, dass sie ganz vergessen hat, sich vorzustellen. In diesem Moment begreift sie, dass im Grenzland einige Schwierigkeiten auf sie warten.
    Wütend und aufmüpfig zu sein ist leicht, und über Fleiß und Pflichtbewusstsein weiß sie auch alles. Doch mit einem Fuß in jedem Lager zu stehen, und das vor einer zehn Jahre älteren Frau mit Stoppelfrisur und Lederweste über der farbbeklecksten Handwerkerhose, einer Frau mit diesem gewissen Lächeln und dem nachsichtigen Blick – das ist richtig schwer. Sie hatte geglaubt, dass ihre Aufmachung sie schützen würde, doch nun kommt sie sich plötzlich furchtbar kindisch vor.
    Die Frau, die sich als Caroline vorstellt, wirft Mys Tasche auf den Rücksitz und klopft auffordernd auf den Beifahrersitz. Auf dem Oberarm hat sie ein Rosentattoo. Es sieht so aus, als stünde etwas in den Blütenblättern, allerdings ist es bis zur Unkenntlichkeit verblasst. An ihrem Hals schlängelt sich seitlich eine Schlange herunter. Einen Moment findet My den Anblick richtig Unheil verkündend.
    Auf dem Rasen neben dem Hauptgebäude stehen mehrere Häuschen. Über den Dächern ragen die Laubbäume auf, deren Stämme so knotig und dick sind, dass man sie wahrscheinlich gar nicht mehr mit den Armen umfassen könnte. My überlegt, ob es hinter dem Haus einen Garten gibt, und verspürt kurz den Impuls, um die Ecke zu rennen und nachzusehen. Sich vielleicht sogar irgendwo zu verstecken. Stattdessen steht sie wie festgenagelt auf dem Kies.
    Dort bleibt sie stehen, bis Caroline sie bei der Hand nimmt, um sie ins Gebäude zu führen wie ein Kind am ersten Schultag. Durch die braun gestrichenen Türflügel und die Treppe hoch bis zum Dachboden, wo ihr Zimmer liegt. My blendet das Gesamtbild aus und nimmt nur die Details in sich auf. Die Flecken und Kratzer auf der Treppe sehen aus wie Narben. Die schwarze Schlange auf dem Hals. Lange Schlangen aus Narbengewebe, die sich über Carolines Unterarme bis zur Ellbogenbeuge winden.
    My folgt ihr widerstandslos.

5
    2006
    Von dem panierten Dorsch mit Kartoffelbrei, den er mittags hinuntergeschlungen hatte, den unzähligen Tassen Thermoskannenkaffee und den Lebkuchen hatte er einen unangenehmen Geschmack im Mund. Tell wollte gerade noch eine Tasse nachgießen, als er zu seinem Verdruss entdeckte, dass jemand die Kaffeemaschine aus der Pantry entfernt hatte. Stattdessen hatte man im Flur ein raumschiffähnliches Ungetüm aufgestellt, aus dem man per Knopfdruck die verschiedensten Getränke holen konnte, von denen er die meisten nicht mal dem Namen nach kannte.
    Er drückte auf gut Glück eine Taste. Mit Café au lait konnte er ja nicht völlig falsch liegen. Die Maschine begann, Kaffeebohnen zu mahlen und schloss den Arbeitsgang ab, indem sie ein gedehntes Zischen ausstieß. Wie eine Daunendecke legte sich der Milchschaum auf den Kaffee im Pappbecher.
    »Endlich eine anständige Kaffeemaschine!«
    Karin Beckmans Augen glänzten. Sofort studierte sie die Produktliste. »Café Chocolat, Café Mint, Café au lait, Café Crème, Macchiato, Latte ...«
    »Und das nennst du richtigen Kaffee?«
    Bengt Bärneflod stieß zu dem Grüppchen, das sich um den Automaten scharte.
    Tell bedachte den älteren Kollegen ausnahmsweise mit einem zustimmenden Nicken. Seit Tell vor vierzehn Jahren im Team angefangen hatte, arbeiteten sie zusammen.
    Bärneflod probierte einen Schluck, und die künstliche Süße des Getränks entlockte ihm eine Grimasse. »Tja, also ich geh jetzt mal los und such unsere alte Kaffeemaschine ...«
    Tell hatte die Diskussion pro und contra Café au lait mittlerweile über. »Okay, wir haben einen Mordfall, das habt ihr sicher mitbekommen. In fünf Minuten versammeln wir uns im Besprechungszimmer.«
    Er klatschte in die Hände wie ein Turnlehrer und malte sich aus, wie sie hinter seinem Rücken die Augen verdrehten. Aber es
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