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Winter

Winter

Titel: Winter
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Pult ein halbes Jahr. Damit ich es täglich wüßte. Aber es hat nichts geholfen. Wieder war es so: sobald das Leben mich mit einer seiner Wirklichkeiten anrührt, sich auf mich bezieht, mich verlangt, – bin ich nur gestört. Wo andere sich aufgenommen fühlen und aufgehoben, fühle ich mich vorzeitig hinausgezerrt aus irgend einem Versteck. Wie solche Kinderhände einen ausgraben, aus der Erde herausnehmen und beschauen; ach und ich denke sie müssen mich völlig wertlos finden. – Man dürfte noch nicht in mich hineinschauen, ich müßte noch nicht fertig sein müssen, zu nichts, denn alles ist unvollendet an mir, unzulänglich. Welches Lebens-Ereignis, welches wirkliche Geschehen gab es, das mir nicht diese Erkenntnis brachte? Welches ging nicht in dieser tiefen Klostersehnsucht aus? Sehnsucht nach Jahren in der Wüste; ganz in die Erde eingegraben, nicht nach oben blühend nur an den Wurzeln arbeitend, die keiner sieht.
    Andreas-Salomé (6. 1. 1905), 196 f.
    Vormittag bin ich im Schnee-Treiben den Weg nach St. Quirico gegangen, das war eine wunderliche Verwandlung. Auf meine Zustimmung hin, hat sich das Wetter immer weiter im Perlengrauen gehen lassen, – aber nicht ohne Reue gleich darauf, denn jetzt ist die Sonne da und es treibt mich hinaus. Dabei diese Briefe, diese Briefe, – und die Zeit zerrinnt mir ungenutzt, kein Buch noch aufgeschlagen, seit ich hier bin.
    Wunderly I (19. 12. 1919), 42
    Weihnachten –: offen gestanden, ich bin so ungeduldig nach den (fernen!) Richt-Festen der Arbeit, daß ich mir keinerlei Fest von außen wollte zufügen lassen –, immerhin ich weiß, dieses eigenthümlich uns eingeflößte Weihnachtliche hat eine besondere Weise, mit gewissen Gemüthsstellen in einem sich, über alle Widerstände hinüber, zu verständigen, – und schon manchmal bin ich im genauesten Entschluß, seine Gegenwart nicht zu feiern, für einen inkommensurabeln Augenblick wenigstens, überstimmt und überwältigt worden –: so mag ich für den heiligen Abend selbst nicht zuviel Absägliches versichern. –
    Die Feiertage aber denk ich in keine Weise von meiner, ohnehin feierlichen Werktätigkeit zu unterscheiden –, ich muß mich zusammenhalten, und eine gute Unterbrechung wäre für mich in der Wirkung nicht anders als eine böse auch, eben durch ihre Natur – Unterbrechung zu sein!
    Schweizer Freunde (Lily Ziegler, 22. 12. 1920), 168 f.
    Oh, ich denke nicht daran fortzugehen; denn das Wesentliche meiner retraite auf Berg ist eben ihre Ununterbrochenheit – und auch die beste Unterbrechung wäre eben eine; ich denke auch nicht mehr Weihnachten zu halten und zu fühlen, als vielleicht jenen kleinen Augenblick, da es einen aus dem Innern herauf in seiner eigenthümlichen Rührung mahnt, solange mags das Recht behalten, auf das es sich so weit zurück jedesmal zu berufen scheint. Im Übrigen müssen mir jetzt alle Tage Werktage sein; es fehlt ihnen trotzdem zuweilen nicht an Feierlichkeit.
    Forrer (22. 12. 1920), 62
    Unten im Eßzimmer steht ein Christbaum, die gute Peterin wollte mich durchaus hinunter haben, damit mirs nicht »zu traurig sei«. Aber da ich ja ohnehin alle Abende oben bleibe, wars nicht weiter kränkend, daß ich mich entschuldigte. Schickte den Kindern allerhand Kleinigkeiten hinunter, – und eben kam das gute Stubenmädchen, Sóphie (auf dem O betont) herauf, die mir schon im Einheizen, vor dem Ofen knieend, gesagt hatte: »Ich bin so froh –, alle sind froh heute« – (und es ist Grund, denn zum ersten Mal riecht es im Hause nicht nach Sauerkraut, sondern nach versprechlicheren Dingen) –, wie ich erzähle, abscheulich, – also eben kam diese Sóphie herauf, klopfte, öffnete langsam, – da wars nichts als ein knabenarmlanges Tannenästchen, wagrecht, und ein einzelnes Weihnachtslicht darauf gesteckt, nicht sonst, – und Sóphie, ganz heiß und schon in der weißen Feiertagsbluse, sagte dazu, hersagte dazu, ein bischen eingelernt klangs: »Ich bringe Herrn Rilke ein Weihnachts-Grüßli.« Lieb, nicht? Und wie fein, daß nichts drangehängt und dazugethan war, nur dieses wagrechte Tannen-Aermchen mit seinem einen Licht. Nun hats seinen Platz auf der Kommode, wo das Körblein steht und wo
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