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Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation

Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation

Titel: Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation
Autoren: Juergen Kehrer
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Wilsberg. Herr Fahle kennt mich.«
    »Gehen Sie!«, sagte van Kranenburg freundlich.
    Er wirkte kein bisschen eingeschüchtert oder verängstigt. Vielleicht konnte er Karate oder irgendeinen anderen asiatischen Kampfsport. Vielleicht würde er mich in der nächsten Sekunde von den Beinen fegen und mir ein Messer aus dem 18. Jahrhundert an die Kehle setzen. Aber vielleicht vertraute er auch nur auf meine mitteleuropäischen Umgangsformen.
    »Gehen Sie!«, wiederholte er und zeigte zur Tür.
    Ich ging.
    Draußen hatte der Regen nachgelassen. Sogar ein Fetzen blauer Himmel war zwischen den Wolken zu erkennen. Ich dachte darüber nach, was ich als Nächstes tun sollte. Bevor ich damit weit gekommen war, klingelte mein Handy. Eine unbekannte Nummer.
    Ich meldete mich.
    »Warum sind Sie in Amsterdam?«, fragte Fahle.
    »Um mein Angebot zu erneuern. Sie können sich den Rest Ihrer fünftausend Euro abholen oder …«
    »Oder?«
    »Oder mir die Wahrheit sagen. Dann überlege ich es mir eventuell noch mal.«
    »In einer Stunde im Café des Van Gogh Museums«, sagte Fahle und legte auf.

    Das Van Gogh Museum befand sich am Museumplein, nur ein paar hundert Meter hinter dem Rijksmuseum. Da ich noch Zeit genug hatte, schaute ich mir im Untergeschoss eine Ausstellung mit Zeichnungen des holländischen Malers an. Die Brücke von Arles in verschiedenen Variationen, die Gärten der Irrenanstalten, in denen er Patient gewesen war, seine Ärzte und natürlich Selbstporträts, mit einem oder zwei Ohren.
    Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich ein Interview gelesen, in dem ein Psychologe behauptete, richtig berühmte Menschen seien nicht deshalb so durchgedreht, weil sie den Ruhm nicht verkrafteten, ihre Verrücktheit sei vielmehr die Voraussetzung, um überhaupt ein Megastar zu werden. Der Psychologe belegte seine Theorie anhand der Biografien einiger Schauspieler und Popstars, die schon in ihrer Jugend unter narzisstischen Störungen, Depressionen und Borderlinesymptomen gelitten oder zu Selbstverstümmelungen geneigt hatten, lange bevor sie den Durchbruch im Showbusiness schafften. Auf Vincent van Gogh traf die These bestimmt zu, er hatte seine Berühmtheit nicht mal erlebt.
    Peter Fahle saß bereits an einem Tisch, als ich das Café betrat.
    Statt einer Begrüßung fragte er: »Wollen Sie auch einen Kaffee?«
    »Gern.«
    Er sprang auf und rannte zur Theke. Ein Stück seines karierten Holzfällerhemdes hing aus der abgetragenen Kordhose. Mit dem durchweichten Trenchcoat und den wirr herunterhängenden Haaren sah er aus wie ein Penner, der in einem Pappkarton unter der Brücke schläft.
    Er schleppte zwei Tassen Kaffee an und setzte sich wieder. »Was haben Sie rausgekriegt?«
    »Felizia ist nicht mehr in New York. Aber ich habe mit Regina Fuchs geredet. Sie scheint keine besonders gute Meinung von Ihnen zu haben.«
    »Regina.« Er spielte mit dem Keks auf seiner Untertasse. »Regina hat nicht gemerkt, dass sich die Zeiten geändert haben.«
    »Den Eindruck hatte ich nicht. Und ich frage mich, warum Sie Ihrer Tochter den Namen und die Adresse von Frau Fuchs gegeben haben, wenn Sie nichts von ihr halten.«
    Er schüttelte genervt den Kopf. »Ich war die ganzen Jahre über vorsichtig. Das ist verdammt schwierig, wenn man eine Tochter hat, die man liebt und die man gerne öfter sehen möchte, nicht nur in zugigen Bahnhofsgaststätten.« Er faltete seine Hände. »Ich bin sentimental geworden, so einfach ist das. Ich habe ihrem Drängen nachgegeben und sie in meine Wohnung gelassen. Sie war zwei Tage da. Es war schön. Wir haben zusammen gekocht und sind durch den Vondelpark spaziert. Wir waren glücklich. Ich habe ihr vertraut, verdammt noch mal. Konnte ich denn ahnen, dass sie sich wie eine Journalistin verhält und in meinen Sachen schnüffelt?«
    »Sie hätten ihr erzählen können, was sie wissen wollte.«
    »Das habe ich doch. Ohne Namen und Details, natürlich.« Er schaute einer milchkaffeefarbenen Frau hinterher, die mit aufreizendem Hüftschwung an unserem Tisch vorbeiging. »Wissen Sie, Herr Wilsberg, ich bin nicht stolz auf das, was wir getan haben. Wir haben großen Mist gebaut. Wir hatten Theorien im Kopf, die Lichtjahre von der Realität entfernt lagen. Aber wir waren in jeder Sekunde davon überzeugt, das Richtige zu tun. Hätten wir auch nur den Schimmer eines Zweifels zugelassen, wäre die ganze Seifenblase geplatzt. Wir lebten ja unter einem ungeheuren Druck, Druck von außen, durch die Medien, die Polizei, den ganzen
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