Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville
Autoren: T. C. Boyle
Vom Netzwerk:
heraufzukommen, nachdem wir für heute fertig sind, und Miss Muntz’ Beobachtungen zu bestätigen. Und Ihnen vielen Dank, Miss Muntz – Sie können wieder Platz nehmen –, und auch Ihnen Dank, Dr. Linniman.«
    Ein Augenblick ging vorüber, die Menge war noch immer unruhig, als Dr. Linniman der jungen Dame vom Podium half, sie zu ihrem Stuhl begleitete und selbst einen Platz in der ersten Reihe fand. Der Doktor spürte, wie der Puls der Zuhörer sich allmählich wieder normalisierte, nachdem der Höhepunkt überschritten war, zu dem er sie geführt hatte, und er wußte, daß sie jetzt verwundbar waren, Wachs in seinen Händen: Es war Zeit für die pièce de résistance. »Meine Damen und Herren«, rief er, »ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ziehen Sie selbst die Schlußfolgerungen aus dem, was Sie eben gesehen haben«, fügte er listig hinzu. »Allerdings haben wir hier noch ein kleines Problem … Was sollen wir mit Mr. Posts Porterhousesteak machen?« Er hob eine Hand, um das einsetzende Gelächter zum Verstummen zu bringen. »Ich schlage eine zweite kleine Illustration der Sanatoriumsprinzipien vor …« Dr. Kellogg blickte erneut ans andere Ende des Auditoriums. Das Publikum in den vorderen Reihen wendete schon wieder die Hälse. »Ist Dr. Distaso bereit?«
    Ein barsches, zustimmendes Bellen mit französischem Akzent erklang ganz hinten im Raum, und da war Dr. Distaso, der Bakteriologe von Rang, den Dr. Kellogg vom Pasteur-Institut weggelockt hatte, und führte seinen Schützling den Gang entlang. Bei diesem handelte es sich um eine uralte, schlecht riechende und noch schlechter gelaunte Schimpansin namens Lillian, ein Tier, das der Doktor ein paar Jahre zuvor von einem Zirkus erworben hatte und für Auftritte wie diesen im San hielt. Als das Publikum Lillian erblickte, die normalerweise in einem Käfig in einem der unterirdischen Labors verwahrt wurde, erscholl allgemeines beifälliges Geschrei. Ein paar Zuhörer standen tatsächlich auf, um besser sehen zu können, und zwei ältere Damen in einer der mittleren Reihen klatschten in die Hände wie Schulmädchen. Der Doktor fixierte vor allem einen Mann (Jennings, Bigelow; chronische Blähsucht, partieller Verlust des Gehörs), der dermaßen lachen mußte, daß seine Augen in Tränen schwammen und sein Gesicht auf die doppelte Größe anschwoll. Inmitten des Höllenlärms nahm Dr. Kellogg Dr. Distaso Lillians Leine ab und führte sie auf das Podium, wo sie – sie kannte ihren Part so gut wie Dr. Linniman den seinen – in einer Ecke auf einen Stuhl kletterte und dem Doktor ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmete. Dr. Kellogg streckte die Hände hoch über den Kopf und bat um Ruhe.
    Diesmal dauerte es noch länger, bis sich das Publikum beruhigte, aber sobald es etwas stiller geworden war, erhob der Doktor seine Stimme und hielt schnell eine kurze Rede über die Geißel Fleisch und wie sehr es der Natur des Menschen zuwiderlaufe, es zu verzehren. »Um Ihnen das zu illustrieren«, sagte er, »werde ich unserer Verwandten hier – nämlich Lillian, und sie sieht niemandem aus meiner Familie ähnlich« – Pause für das Gelächter –, »werde ich ihr die Wahl lassen zwischen Mr. Posts bestem Rindersteak und dem Inhalt dieser Tüte.« Und er holte eine braune Papiertüte von irgendwo hinter dem Podium. »Wir werden sehen, was ihr lieber ist.«
    Er trat ein paar Schritte zurück und zog die Handschuhe an, die für ihn auf dem Tisch bereitlagen. Dann griff er nach der tropfenden Fleischscheibe, hielt sie kurz hoch, damit alle sie sehen konnten, und warf sie lässig Lillian zu. Die Schimpansin kannte das Spiel. Mit ihrer spinnenartigen Hand fing sie das Fleisch in der Luft und hielt es sich an die Nase, wobei sie ein hüstelndes Geräusch von sich gab und die Lippen über den Zähnen zurückstülpte. Die Zuschauer waren aufgeregt, stießen einander an, lachten leise. Perplex berührte Lillian mit der Zungenspitze die Fleischoberfläche, verzog geringschätzig das Gesicht, so daß sie aussah wie ein Wasserspeier, und warf das Ding, ohne Zögern und ziemlich kraftvoll, zurück zum Doktor, der es geschickt auffing. Er legte das Steak weg, holte eine Banane aus der Tüte, rief »Voilà!« und warf sie der Schimpansin zu, die sie sofort schälte und aß. »Huh huh«, brummelte sie und bedachte ihn mit einem Blick reiner und unvergänglicher Liebe aus ihren schokoladenbraunen Augen.
    Dr. Kellogg warf ihr eine weitere Banane zu, und plötzlich war das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher