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Will & Will

Will & Will

Titel: Will & Will
Autoren: John Green , David Levithan
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brüllt: »Fahr los, Grayson, fahr los!«
    Und auf dem Weg ins Hideout läuft alles perfekt. Der Verkehr auf der Sheridan hält sich in Grenzen und ich gehe in die Kurven, als wäre mein Auto ein Indy 500, und wir hören meinen Lieblingssong von NMH, »Holland, 1945«, und biegen dann rauf auf den Lake Shore Drive, wo die Wellen des Lake Michigan neben der Straße gegen die Felsbrocken schlagen; ich öffne das Fenster einen Spalt, damit die Windschutzscheibe nicht beschlägt, schmutzige, stechende, kalte Luft weht herein, und wie immer liebe ich es, wie Chicago riecht – Chicago ist für mich Brackwasser und Ruß und Schweiß und ich liebe es. Und ich liebe dieses Lied und Tiny sagt Ich liebe dieses Lied und hat die Sonnenblende heruntergeklappt, damit er seine Haare noch etwas kunstvoller verstrubbeln kann. Das bringt mich auf den Gedanken, dass nicht nur ich Neutral Milk Hotel sehen werde, sondern auch
sie mich, deshalb mustere ich mich kurz im Rückspiegel. Mein Gesicht kommt mir zu kantig vor, die Augen viel zu groß, als wäre ich dauernd überrascht, aber daran kann ich jetzt auf die Schnelle auch nichts ändern.
     
    Das Hideout ist ein aus Holzbrettern zusammengezimmerter Musik-Club, eingezwängt zwischen einer Fabrik und irgendeiner städtischen Fuhrparkhalle. Überhaupt nichts Besonderes. Trotzdem steht vor der Tür eine Schlange, und das obwohl es erst sieben ist. Also stelle ich mich mit Tiny hinten an, bis Homo-Gary und Vielleicht-Hetero-Jane auftauchen.
    Unter ihrem offenen Mantel trägt Jane ein handsigniertes Neutral-Milk-Hotel-T-Shirt mit V-Ausschnitt. Jane ist erst um die Zeit in Tinys Leben getreten, als ich mich zwischenzeitlich daraus verabschiedet hatte, deshalb kennen wir uns nicht richtig. Trotzdem würde ich sagen, dass sie gegenwärtig mein viertbester Freund ist, und ganz offensichtlich hat sie einen guten Musikgeschmack.
    Als wir in der Stein-und-Bein-frierenden-Kälte zusammen vor dem Hideout warten, sagt sie zu mir Hallo, ohne mich dabei anzuschauen, und ich sage darauf zu ihr auch Hallo und dann sagt sie: »Diese Band ist so was von großartig«, und ich sage »Ja«.
    Das war wahrscheinlich das längste Gespräch, das wir bisher miteinander geführt haben. Ich scharre ein wenig in den Kiessteinchen und dem Dreck herum und betrachte die Miniaturstaubwolke rings um meinen Fuß und dann erzähle ich Jane, wie sehr ich »Holland, 1945« mag, und sie sagt: »Ich finde die weniger eingängigen Sachen gut. Die polyphonen,
lärmigen Sachen.« Ich nicke wortlos und hoffe, dass es so wirkt, als wüsste ich, was polyphon bedeutet.
     
    Noch so eine Sache mit Tiny Cooper ist, dass man ihm nichts ins Ohr flüstern kann, auch nicht wenn man selbst ziemlich groß ist, so wie ich, weil der Spaßmacher nämlich ein Zweimeterzweimann ist und man ihm auf seine riesige Schulter tippen und dann eine Kopfbewegung machen muss, dass man ihm gern was ins Ohr flüstern würde, und dann beugt er sich herunter und man fragt: »Sag mal, gehört Jane zum Homo- oder zum Hetero-Teil eurer Homo-und-Hetero-Allianz?«
    Und Tiny beugt sich zu meinem Ohr und flüstert zurück: »Keine Ahnung. Ich glaube, sie hatte in der Fünften mal einen Freund.« Ich weise ihn darauf hin, dass ein gewisser Tiny Cooper in der Fünften ungefähr 11542 Freundinnen hatte, was Tiny zum Anlass nimmt, mich in den Arm zu boxen, seiner Meinung nach eine spielerische Liebkosung, die aber zu dauerhaften Nervenschäden führen kann.
    Gary rubbelt ständig Janes Arme, rauf und runter, damit ihr warm wird, und dann kommt endlich Bewegung in die Schlange. Ungefähr fünf Sekunden später bemerken wir diesen Jungen, der ganz herzzerreißend dreinschaut, und er ist genau der Typ kleiner-blonder-braungebrannter Junge, wie er Tiny Cooper gefällt, und deshalb fragt Tiny ihn: »Was ist los?« Und der Junge antwortet: »Ist erst über einundzwanzig.«
    »Du …«, stammle ich, »du … du Tuntenquäker« und meine damit Tiny. Ich weiß immer noch nicht, was das Wort eigentlich sagen will, aber es scheint mir gerade passend.
    Bei Tiny Cooper zuckt es um die Mundwinkel und eine Augenbraue wandert nach oben. Er dreht sich zu Jane. »Hast du einen gefälschten Ausweis?« Jane nickt. Gary trompetet: »Ich auch.« Und ich balle die Fäuste und will nur noch laut aufschreien, aber stattdessen sage ich mit steinernem Gesicht: »Auch egal, ich geh nach Hause«, weil ich nämlich keinen gefälschten Ausweis habe.
    Aber dann sagt Tiny ganz hastig und ganz leise:
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