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Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Colin Meloy , Carson Ellis
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auf. Hinter einem wilden Gestrüpp von Brombeersträuchern war eine schwere Eichentür zu erkennen. Genau über diesem Eingang blinkte das Neonschild, ein seltsamer Kontrast zu dem ansonsten deutlich ans neunzehnte Jahrhundert erinnernden Erscheinungsbild des Hauses.
    Elsie wurde etwas nervös und bückte sich, um den Reißverschluss ihres Rucksacks aufzuziehen. Sie schielte auf den Kopf ihrer »Unerschrockene Tina«-Puppe in der Tasche und probierte, warmherzig zu lächeln.
    »Ist schon gut, Tina«, flüsterte sie. »Alles wird gut.« Die Unerschrockene Tina war aus Hartplastik und trug einen praktischen Kurzhaarschnitt. Vorsichtig steckte Elsie den Finger in den Kragen ihres »Frechen Safari-Outfits« und suchte nach dem Knopf zwischen den Schulterblättern der Puppe. Sie drückte ihn und wurde sogleich von folgender Beteuerung beruhigt, die – wenn auch ziemlich gedämpft – aus dem kleinen Lautsprecher in Tinas Brust ertönte: »UNERSCHROCKENE MÄDCHEN SCHRECKEN NIE VOR EINEM NEUEN ABENTEUER ZURÜCK!« Tinas Stimme hatte etwas verwegen Heiseres.
    Elsie hörte ihre Schwester seufzen und bemerkte, dass Rachel sie durch ihre Haarsträhnen hindurch von der Seite ansah. Sie wartete auf einen höhnischen Kommentar, Rachels übliche Reaktion auf Tinas Ansagen, doch es kam keiner. Die Lage musste wirklich schlimm sein, dachte Elsie, wenn sogar Rachel sich von Tinas Worten aufgemuntert fühlte.
    Nachdem sie vor dem Gebäude angehalten hatten, tuckerte der Wagen der Mehlbergs noch einen Moment lang im Leerlauf, dann drehte David den Schlüssel herum, und der Motor verstummte stotternd. Das Pfeifen des Windes, der durch die Gassen zwischen der Industriewüste wehte, drang durch die Autoscheiben. David drehte sich zu seinen beiden Töchtern um. »Nur zwei Wochen«, versuchte er, sie zu beschwichtigen. »Mehr nicht. Zwei Wochen. Und dann holen wir euch wieder ab.«
    Elsie strich über das strohblonde Plastikhaar der Unerschrockenen Tina. Zwei Wochen waren ihr noch nie in ihrem Leben länger vorgekommen.

DREI
    Die geheime Sprache der Pflanzen ·
    Auf nach Nordwald! ·
    Die Warnung des Waisenjungen
    M it ihrem um das Gesicht gewickelten langen Strickschal tat Prue kurz, als wäre sie ein Beduinenmädchen, das einer endlosen Dünenkette in der Sahara trotzte, wo sie doch in Wirklichkeit ziellos über die Lombard Street spazierte. In Anbetracht der Umstände schien diese Lebensweise wirklich zu bevorzugen. Sie fragte sich, ob Beduinenkinder in Beduinenschulen gehen und solche Sachen auswendig lernen mussten wie, wer den Mähdrescher erfunden hatte und woher das Penicillin kam. Wahrscheinlich nicht. Vermutlich veranstalteten Beduinenkinder vor allem Kamelrennen und lernten, wie man in der Wüste Oasen fand. Prue nahm sich vor, Beduinen zu googeln, sobald sie nach Hause käme, und herauszufinden, ob man sich nicht irgendwie freiwillig dazu melden konnte.
    Vorerst aber wanderte sie durch die kalten Straßen von St. Johns, ihrem Wohnviertel ganz im Norden von Portland, Oregon. Es war Februar; obwohl es erst vier Uhr nachmittags war, dämmerte es schon. Die Straßen waren noch nass vom Schneeregen am Vormittag, und Prue trat beim Gehen versonnen nach den Pfützen. Zum Fahrradfahren war es zu kalt, aber sie hatte unbedingt aus dem Haus gemusst. Das ganze Gerede von Erwartungen und Hoffnungen und unerfreulichem Verhalten machte sie wahnsinnig. Es trieb sie beinahe dazu, sich noch weiter von dem zu entfernen, was ihre Eltern und Lehrer von ihr wollten. Zum ersten Mal in ihrem Leben spürte sie das ungeduldige Zerren des Erwachsenwerdens, und es gefiel ihr überhaupt nicht.
    Sie kürzte über ein leeres Grundstück ab, weiter Richtung Westen, und stand plötzlich genau da, wo sie so oft in diesen vielen trostlosen Wochen unwillkürlich gelandet war: auf dem Kliff oberhalb des Willamette, unmittelbar vor der Undurchdringlichen Wildnis.
    Sie musste lachen. Die Undurchdringliche Wildnis. Ein dichter Teppich aus hohen grünen Bäumen bedeckte diese weite, sich in die Länge und Breite ausdehnende Fläche. Tiefe Wolken hingen in den Zweigen, und ein Wind wehte kühl durch das Flusstal. Aus dieser Entfernung waren ihre Stimmen nicht zu hören. Die Stimmen der Bäume.
    Das war eine Umstellung gewesen. Bei Prues Rückkehr aus dem Wald, nach ihrem großen Abenteuer im vergangenen Herbst, hatte sie erwartet, dass ihr Leben wieder eine gleichmäßig plätschernde Normalität annehmen würde. Mac war zu Hause, ihre Familie vereint – alles hätte
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