Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wild und frei

Wild und frei

Titel: Wild und frei
Autoren: Elizabeth Lane
Vom Netzwerk:
Tiere zu eigen gemacht. Sei wachsam und lerne! Warte auf die beste Gelegenheit! Dann greif an und töte!
    Am Anfang der Reise war er nahe daran gewesen, einen der Männer auf dem Schiff zu töten. Der brutale junge Kerl hatte ihn gepeinigt und mit einem glühenden Stock nach ihm gestoßen. Aber in einem Moment der Unachtsamkeit war der Bursche zu nahe an ihn herangekommen, und Black Otter, getrieben von Schmerz und Kummer, war über ihn hergefallen. Er hatte die Eisenketten, mit denen seine Handschellen verbunden waren, um den Hals des Matrosen geworfen und ihn gequetscht und gewürgt, mit einer widernatürlichen Freude daran, wie der Mann voller Qual um sich schlug und schwerfällig nach Luft schnappte.
    Dann war von oben ein Ruf ertönt, und die Kumpane des Mannes waren durch die Ladeluke heruntergestürmt, um wie ein Rudel Hunde über ihn herzufallen. Sie hatten ihn so brutal zusammengeschlagen, dass er für mehr Tage, als er Finger an beiden Hände hatte, immer wieder das Bewusstsein verlor.
    Diese Prügel hatten Black Otter eine Lektion eingebläut, die er nicht vergessen würde. Niemals wieder würde er seine Entführer angreifen, ohne vorher das Risiko genau abzuwägen. Wenn dabei kaum etwas zu gewinnen wäre, würde er seine Wut zurückhalten und sie einsperren wie ein wildes Tier. Aber sollte sich die Gelegenheit ergeben, auszubrechen und in Freiheit zu gelangen, würde er jeden Weißen töten, der sich ihm in den Weg stellte.
    Einschließlich der Frau.
    Er spürte ihren Blick auf sich ruhen, als er sich mühsam aufrichtete, während der Boden sich zu drehen schien. Goldbraune, traurig blickende Augen in einem schmalen, blassen Gesicht. Black Otter erinnerte sich daran, wie ihre Fingerspitze seine Wangen berührt hatte, bis ihr der Atem stockte, als er die Augen aufschlug. Hatte er ihr Angst eingejagt? Gut, er hatte sie erschrecken wollen. Er wollte ihnen allen Angst machen.
    Nachdem zwei kräftige Männer, die auf die Befehle des Alten zu hören schienen, ihm die Segeltuchumhüllung abgenommen hatten, kämpfte Black Otter gegen das Gewicht seiner Ketten an, als er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete und sie zornig und herausfordernd anstarrte – die Frau, den alten Mann und die Dienstboten, die aus dem riesigen Wigwam herausgekommen waren. Die beiden Männer packten seine Arme, halb um ihn zu stützen, halb um ihn zu bändigen. Wäre er richtig bei Kräften gewesen, hätte er ihre Knochen mit seinen bloßen Händen brechen können. Aber so, angekettet, ausgehungert und krank, hatte er kaum Kraft, Widerstand zu leisten.
    Die Frau wandte sich an den alten Mann und sprach. Vielleicht werden sie mich nun töten, dachte Black Otter. Falls das so wäre, würde er nicht unterwürfig sein Schicksal hinnehmen. Bei seinen eigenen Leuten, den Lenape, die an den Ufern des großen Meeresflusses lebten, war er ein mächtiger
Sakima
, ein Häuptling, und darüber hinaus ein unbesiegbarer Krieger. Selbst hier, in diesem fremden Land, würde er den Tod eines Kriegers sterben. Und er würde nicht allein sterben.
    Trotz ihrer guten Erziehung konnte Rowena nicht anders, als den Fremden anzustarren. Schmutzig, grün und blau geschlagen und unsicher auf den Beinen, stand er dennoch würdevoll wie ein gefangener Löwe zwischen den beiden Stallburschen. Er war größer als fast alle Männer, die sie kannte. Sein pechschwarzes Haar fiel als verfilzte Mähne über seine kräftigen Schultern. Sein Gesicht war faszinierend – aber Rowena wurde schnell klar, dass sie nicht lange in seine raubvogelartigen Züge sehen konnte, ohne sich unbehaglich zu fühlen. Der Hass in diesen teuflischen Augen loderte ihr mit solcher Heftigkeit entgegen, dass sie gezwungen war, den Blick zu senken.
    Unter einer Schicht aus Striemen, Schnittwunden und Prellungen, erinnerte sein Körper sie an – ja – die Zeichnung einer griechischen Statue, die sie in der Bibliothek ihres Vaters gesehen hatte. Rowenas Blick folgte dem Spiel der Muskeln unter der geschundenen mahagonifarbenen Haut, deren Namen ihr gerade jetzt unsinnigerweise wieder einfielen: die
musculi deltoidei
, die
musculi pectorales
, der flache, harte
musculus rectus abdominis
, der sich in Wellen bis unter das schmutzige Stück Leder erstreckte, das seine Lenden bedeckte.
    Außer dem Lendenschurz trug er nichts bis auf ein Paar halb vermoderte Lederslipper mit weichen Sohlen, eine Art Schuhwerk, das sie noch nie zuvor gesehen hatte.
    Als der Wagen zurück zur Straße rumpelte, trat
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher