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Wild und frei

Wild und frei

Titel: Wild und frei
Autoren: Elizabeth Lane
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genug. Und nun beeil dich!” Sir Christopher ergriff die schlaff vor dem Kutscher herunterhängenden Zügel und brachte den schwerfälligen alter Klepper zum Stehen. Blackamoor, voller Ungeduld nach Stall und Futter, schnaubte und zerrte an dem Strick, der ihn an der Seite des Wagens festhielt.
    “Ganz ruhig!” Rowena näherte sich behutsam dem unruhigen Wallach, griff nach dem Zaumzeug und fing an, mit ihrer freien Hand den Haltestrick zu lösen. Während sie den Knoten aufmachte, wurde ihr Blick unwiderstehlich von dem in Segeltuch eingewickelten Bündel angezogen, welches mit dicken Stricken auf der Ladefläche des Wagens festgebunden war. Aus der äußeren Form des Gegenstandes konnte sie kaum Rückschlüsse auf den Inhalt ziehen, außer dass er lang war – so lang wie ein großer Mann. Erstaunt öffnete sie die Lippen, als sie eine leichte Bewegung bemerkte und ihr klar wurde, dass das Lebewesen unter der schweren Verpackung atmete.
    “Vater!” Sie wirbelte herum, um ihm ins Gesicht zu sehen, und ihr Herz klopfte wild. “Das Tier lebt! Ihr müsst mir sagen, was es ist!”
    “Später, Rowena.” Er tat ihren Wunsch mit einem mürrischen Gesichtsausdruck ab. “Je weniger wir hier reden, desto besser. Zu Hause können wir in Ruhe sprechen. Nun reite los.”
    Der Knoten löste sich und gab das Zaumzeug des Wallachs frei. Rowena schwang sich gekonnt rittlings in den Sattel, wobei sich die Röcke über ihren Schenkeln bauschten. Während sie kurz innehielt, um die Zügel aufzunehmen, fiel ihr Blick nochmals auf die fest geschnürte Ladung des Wagens.
    Vom Rücken des Pferdes konnte sie erkennen, was vom Boden aus nicht sichtbar gewesen war. Die Ränder des Segeltuches waren am ihr zugewandten Ende des Bündels auseinander gezogen und gaben den Blick auf ein Gesicht frei.
    Ein menschliches Gesicht.
    Das Gesicht eines Mannes.
    Rowenas Herz klopfte schneller, als sie sich tiefer hinabbeugte, ohne zu bemerken, wie der ungeduldige Blick ihres Vaters sie durchbohrte, ohne überhaupt irgendetwas wahrzunehmen, außer jenen fesselnden männlichen Gesichtszügen.
    Die tief liegenden Augen unter den geraden, tiefschwarzen Brauen waren geschlossen. Sein Gesicht hatte ausgesprochen aristokratische Züge, war aber ausgemergelt und schien unter der gespannten bronzefarbenen Haut aus lauter Blutergüssen und hervortretenden Knochen zu bestehen. Eine schwarze Haarsträhne – alles, was sie sehen konnte – hing über die eine violett angelaufene Wange. Trotz all seiner offensichtlichen Stärke sah der Mann krank und halb verhungert aus. Er stank nach Erbrochenem und Salzwasser. Aber warum, in Gottes Namen, war er auf der Ladefläche des Wagens festgezurrt? Sicher bestand in seinem Zustand keine Gefahr, dass er fliehen würde.
    Wie unter Zwang spürte Rowena ein seltsames Verlangen und beugte sich aus dem Sattel, um ihre rechte Hand nach dem zerschundenen, bewegungslosen Gesicht des Fremden auszustrecken. Ohne auf die mit aller Schärfe ausgesprochene Warnung ihres Vaters zu achten, fuhr sie mit der Fingerspitze vorsichtig an der eingefallenen Wange entlang. Die kühle Haut war so glatt wie feinstes Leder, der markante Kiefer hatte nicht eine Spur von Bartstoppeln. Es war fast, als ob …
    Rowena stockte der Atem, und sie riss ihre Hand zurück, als die Lider des Mannes sich plötzlich öffneten. Die Augen, die sie wütend anfunkelten, waren so schwarz wie polierte Pechkohle – der Farbton so intensiv, dass sie keinen Unterschied zwischen Iris und Pupille erkennen konnte.
    Aber es war nicht die verblüffende Farbe dieser Augen, die sie erstarren ließ, als ob man sie in Stein verwandelt hätte. Es war der glühende Hass, den sie tief drinnen hatte aufflackern sehen – ein Hass so pur und stark, dass er aus den Tiefen der Hölle selbst zu kommen schien.
    Sie riss ihren Blick los. “Vater …”
    “Nicht jetzt, Rowena”, fuhr Sir Christopher sie an. “Später, wenn die Bestie sicher eingesperrt ist, werde ich dir alles erzählen. Geh jetzt, wir dürfen keine Zeit verlieren!”
    Schockiert warf Rowena ihrem Vater einen entsetzten Blick zu. Dann jedoch, wohl wissend, dass sie hier nichts weiter tun konnte, wendete sie das Pferd und galoppierte zum Haus zurück.
    Black Otter zwang sich dazu, nicht zu kämpfen, als die beiden stämmigen weißen Männer nach ihm griffen und anfingen, ihn von der Ladefläche des Karrens herunterzuziehen. Im Laufe der schrecklichen Seereise hatte er sich die verzweifelte Strategie gefangener
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