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Wien

Wien

Titel: Wien
Autoren: Walter M. Weiss
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über Stadt und Land hängen. Ein Beispiel ist die Bildungsmisere: Die flächendeckende Einführung von Ganztagsschulen sowie einer Gesamtschule für 10- bis 14-Jährige wurde trotz verheerenden Abschneidens der Schüler bei diversen Pisa-Tests immer noch nicht entschieden. Auch die Universitäten nehmen in den internationalen Rankings beschämend schlechte Plätze ein. Woran auch das 2009 nahe der nördlichen Stadtgrenze, bei Klosterneuburg, ins Leben gerufene Weltklasse-Institut für Wissenschaft und Technologie (IST Austria) nichts zu ändern vermag. Auch beim Thema Landesverteidigung drücken sich die Verantwortlichen vor längst überfälligen Entscheidungen wie die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht oder die aus europapolitischer Perspektive veraltete Neutralität. Den Zustand der öffentlichen Meinung, die von Boulevardzeitungen und dem krisengeschüttelten öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ORF) dominiert wird, empfinden viele als ebenso katastrophal wie das Niveau der Debatten im Parlament. Und die beiden Großparteien, SPÖ und ÖVP, die lange Zeit gleichsam als „Ersatzkirchen” geschlossene Weltbilder und Lebensformen vermittelten und als Große Koalition nach wie vor das Land regieren, gelten als notorisch reformunfähig und -willig und leiden deshalb unter dramatischem Mitglieder- und Wählerschwund.
    Es mag paradox erscheinen, dass Stadt und Land trotz solch lähmender Umstände im internationalen Vergleich in vielerlei Hinsicht hervorragend dastehen. Die Wirtschaftsdaten etwa sind blendend, die Exportwirtschaft boomt, und die Jugendarbeitslosigkeit liegt weit unter EU-Durchschnitt. Auch der soziale Friede scheint gesichert. Das Zusammenleben der „waschechten” Wiener mit den Zuwanderern – von denen übrigens die Mehrheit aus der Türkei, aus Deutschland und aus Polen stammen – funktioniert in der Realität ungleich besser, als der öffentliche Diskurs und die lange Zeit sträflich vernachlässigte Integrationspolitik vermuten ließen. Dementsprechend hoch ist die öffentliche Sicherheit: Auf Wiens Straßen ist es möglich, sich selbst mitten in der Nacht gefahrlos zu bewegen.
    Auch die Qualität von Luft und Wasser, Wäldern und Stränden kann sich sehen lassen: Die Stadt erweist sich als erstaunlich staub- und smogfrei. Einen wesentlichen Beitrag hierzu leistet die üppige Vegetation: Prater, Lobau, Laaer Berg, Schönbrunn, der Lainzer Tiergarten, die ausgedehnten Wälder zwischen Wiental und Leopoldsberg im Nordwesten und die zahlreichen innerstädtischen Parks machen fast 50 Prozent des 415 km 2 großen Stadtgebiets aus. Als weiterer Sauerstoffspender und Schmutzfilter fungieren Teile des viel besungenen und oft gemalten Wienerwalds, der, an manchen Stellen über 40 km breit, Wien im Westen halbkreisförmig umfasst. Besonders schön und stadtnah ist die Neue Donau, ein einzigartiges Erholungsparadies, an dessen kilometerlangen Stränden an heißen Tagen und in Sommernächten ein Trubel wie in Rimini herrscht.
650 Jahre lang herrschten die Habsburger
    In gewissem Sinn entspricht Wiens malerische Lage der historischen Rolle, die es in seiner über zweitausendjährigen Geschichte spielte. Zwischen den östlichen Ausläufern der Alpen und dem westlichen Rand des Karpatenbogens in ein Becken geschmiegt, das in sanften Terrassen zur Donau hin abfällt, wurde es ebenso Grenzbastion gegen – vornehmlich aus dem Osten – einfallende Völker wie ein Ort der Begegnung. Zur Römerzeit lag hier ein wichtiges Heerlager, Vindobona, das den Donaulimes, die Reichsgrenze zu Germanien, sichern half. Im Hochmittelalter hatten die Babenberger hier gut ein Jahrhundert lang ihre Residenz. Während der folgenden fast 650 Jahre herrschten die Habsburger von Wien aus über ihr riesiges Reich. Zweimal, 1529 und 1683, bestürmten die Türken die Stadt, beide Male vergeblich. Im Gegenzug stieg Österreich zur Großmacht auf. Wien, das östliche Bollwerk der Christenheit, dessen Vorstädte und Vororte speziell unter der zweiten Belagerung arg gelitten hatten, wurde unter Kaiser Leopold I. und Karl VI. wieder auf- und ausgebaut zu einer glanzvollen Barockmetropole mit prächtigen Kirchen, Palästen und Regierungsgebäuden. Von seinem Korsett aus Bastionen und Befestigungswällen befreite es 1857 Kaiser Franz Joseph I. Er ließ auf dem frei
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