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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman
Autoren: Kerstin Cantz
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Zweck eine größere Anzahl präparierter Embryonen anschaffen lassen, die er beschreiben wird. Sie konnten sie oben im Auditorium sehen.«
    »Ich sehe vor allem, verehrter Kollege, dass wir uns in gewissen Grundsätzen unterscheiden. So etwa habe ich nicht die geringste Scheu, meine Tochter zu protegieren. Ich bin von der Qualität ihrer Bildung überzeugt und weiß, was sie zu leisten imstande ist. Es ist dies einer der Gründe, warum ich in Erwägung ziehe, dem Ruf nach Berlin zu folgen.«
    Unwillig huschte Siebolds Blick zu Helene, als sei sie ein unerfreulicher Anblick, was keineswegs der Fall war. Clemens nannte sie im Stillen seine strenge Schönheit, denn sie schätzte Komplimente über ihr Äußeres nicht. Hierin ähnelte sie ihrer Mutter, und es unterschied beide ganz und gar von Elsa.
    »Ein unpassender Vergleich, würde ich meinen«, sagte Elias von Siebold, »es sei denn, Sie sprechen davon, das Fräulein Tochter gut verheiraten zu wollen. Ansonsten, fürchte ich, kann ich nicht ganz folgen.«

    Helene schlug das Herz bis zum Hals. Neben sich hörte sie Caspar von Siebold tief einatmen.
    »Ich denke, es ist an der Zeit, für mich selbst zu sprechen«, sagte sie und stellte die Teetasse auf der Fensterbank ab. »Sofern Sie es mir gestatten möchten, Herr Professor.«
    »Nun, da Ihr Vater Wert darauf legte, Ihre Leistungen hervorzuheben, nehme ich an, Sie liebäugeln mit der Position der Institutshebamme.«
    »Mir würde es viel mehr bedeuten, Ihre Vorlesungen hören zu können«, sagte Helene, »ebenso wie die Ihrer Kollegen der Anatomie und Physiologie. Seit ich die Arbeit meiner Eltern in allem Umfang begriffen habe, ist es mein größter Wunsch, theoretischen und praktischen Unterricht an einer Universität zu nehmen, öffentlich oder privatissime.«
    Ihre Stimme war ruhig, und nur Professor Clemens Heuser sah das heftige Pulsieren ihrer Halsschlagader über dem Stehkragen ihres dunklen Kleides. Er bemerkte auch, wie außerordentlich gut dem jungen Caspar die unverfrorene Heiterkeit zu Gesicht stand, mit der dieser seinen Vater im Auge behielt.
    Elias von Siebold stand wie vom Donner gerührt.
    »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, beabsichtigen Sie, Medizin zu studieren?«
    »Selbstverständlich weiß ich, dass es Frauen nicht gestattet ist, sich zu immatrikulieren, allerdings weiß ich auch, dass es im Ermessen einzelner Lehrer liegt, Ausnahmen zu machen …«
    »Es beruhigt mich, dass Sie über eines der grundlegenden Universitätsstatuten im Bilde sind«, schnappte der Professor. »Und verzeihen Sie, Kollege Heuser, bei Ihrer Gelassenheit darf ich vermuten, dass Sie den Wunsch Ihrer
Tochter unterstützen? Oder wollen Sie, dass ich sie davon abbringe?«
    »Ich nehme an, Vater, dass man bei Ihnen auf Verständnis hofft, da Ihre Nichte Charlotte vor siebzehn Jahren an der Universität in Gießen promovierte«, sagte Caspar, bevor Clemens antworten konnte.
    Elias von Siebold sah dicht an seinem Sohn vorbei.
    »Charlotte Heiland ist das Mündel meines Bruders und daher keineswegs meine Nichte. Doch welche Frau auch immer, und sei es mein eigen Fleisch und Blut, mit einem derartigen Ansinnen an mich herantritt, wird auf meinen Zuspruch verzichten müssen.«
    »Ich darf sagen, dass ich sehr viel von meiner Tante lernen konnte«, fuhr Caspar ungerührt fort, »sie genießt einen ungeheuerlich guten Ruf. Kein Wunder, dass man sie vor Jahren auswählte, in Kensington Palace der Herzogin von Kent bei der Geburt eines Mädchens beizustehen, dem voraussichtlich die Krone zufallen wird. Korrigieren Sie mich, Vater, sollte ich irren. Hieß es nicht Victoria, das Kind?«
    Helene hatte Mühe, ihren Zorn zu unterdrücken, doch sie verfolgte nicht ohne Interesse, wie Caspar es sichtlich auskostete, seinen Vater zu provozieren. Vermutlich bot sich ihm nicht oft eine derart passende Gelegenheit. Die barsche Ablehnung des Professors, was ihre Sache anging, verärgerte sie mehr, als dass sie sie kränkte. Wie gern hätte sie ihm selbst eine Antwort gegeben, kühl und beherrscht, doch der Moment dafür war verstrichen.
    Elias von Siebold war indessen steingrau geworden vor Wut.
    »In meinem Institut werden immatrikulierte Studenten unterrichtet, keine Hebammen, und solange ich diese Entbindungsanstalt der königlichen Universität leite, deren Einrichtung
ich zur Bedingung machte, bevor ich vor zwölf Jahren dem Ruf nach Berlin folgte, wird sich daran nichts ändern. Sollten Sie also, Kollege Heuser, es zur Bedingung
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