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Wiedersehen in Harry's Bar

Wiedersehen in Harry's Bar

Titel: Wiedersehen in Harry's Bar
Autoren: Joe Schreiber
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Beifahrersitz normalerweise voll mit unbeantworteten Briefen, angefochtenen Verträgen sowie Flyern für unsere Auftritte – zukünftige und bereits absolvierte – lag. Er stieg aus einer Lawine aus Dokumenten und Starbucks-Bechern aus.
    »Stormaire?«, blökte er vor der Tür, ohne sich die Mühe zu machen anzuklopfen. »Ist Paula bei dir? Die doppelzüngige Tusse soll sofort rauskommen!«
    Paula seufzte. »Hallo, Linus.«
    »Linus?«, fragte mein Vater verdutzt. »Was will der denn hier?«
    Nachdem er keinen Hehl aus seinem Eintreffen gemacht hatte, stand Linus mit verschränkten Armen auf unserer Veranda und wirkte wie jemand, der zur Not bis in alle Ewigkeit dort wartete. Er ertrank fast in seiner Cordanzugjacke mit Ellbogenflicken aus Wildleder und khakifarbenen Hosen, und seine flusigen Popcorn-Haare sahen aus, als würden sie vor Entrüstung in doppelter oder gar dreifacher Fülle um seinen Schädel wallen.
    Ich machte die Fliegentür auf. »Hallo, Linus.«
    »Hast du einen Vertrag unterschrieben?«
    »Nein, ich –«
    »Aber du hast ihn gesehen.«
    »Was denn für einen Vertrag?«, wollte Dad wissen und sah abwechselnd mich und Linus an. Er wusste, dass Linus Anwalt war, so wie er, eine Verbindung, die ihnen idealerweise erlauben würde, eine professionelle Abkürzung zu benutzen, doch bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen sie sich begegnet waren, hatte es eher umgekehrt gewirkt: Die Signale hatten sich gekreuzt und die Frequenzen des jeweils anderen gestört. »Was geht da vor sich, Perry?«
    »Mach mal halblang, Linus«, sagte Paula. »Erst mal tief durchatmen.«
    »Nicht so von oben herab, Yoko!« Linus hielt ein Blatt Papier hoch und reckte es uns entgegen als handelte es sich um einen Haftbefehl. »Eine E-Mail von George ArmitagesAssistentin? Muss ich auf diese Weise herausfinden, dass du Inchworm für eine Europa-Tournee gebucht hast?«
    »Das war ein Versehen«, erwiderte Paula. »George sollte warten, bis ich es dir selbst gesagt habe.«
    »Absolut unakzeptabel!«
    »Warte doch –«
    »Europa?«, fragte Mom. »Wann wolltest du uns denn darüber informieren, Perry?«
    Dad griff nach der E-Mail in Linus’ Hand. »Dürfte ich bitte mal sehen?«
    »Die Bedingungen sind absurd«, sagte Linus und zog das Blatt wieder an sich, ehe einer von uns einen Blick daraufwerfen konnte. »Du kannst George Armitage ausrichten, er kann sich seine Tour schön tief in den –«
    »Perry ist noch nie im Ausland gewesen«, sagte Mom.
    »Stimmt nicht«, widersprach ich. »Ich bin in der elften Klasse beim Shakespeare-Festival in Toronto gewesen. Und im selben Jahr sind wir alle über Weihnachten nach Paradise Island gefahren. Mein Pass ist noch gültig.«
    »Gut.« Paula holte tief Luft. »Nichts für ungut, aber ich glaube, wir konzentrieren uns hier auf die falschen Dinge.«
    »Da wären wir einmal einer Meinung.« Linus legte mir den Arm um die Schulter und schob mich ins Haus, wobei er mir leise zuraunte: »Perry, du weißt, dass ich dich sehr schätze. Du weißt, dass ich für die Band nur das Beste will. Ich steige jedes Mal für euch in den Ring.« Er hielt sich den Kopf, als befürchtete er, er würde jeden Augenblick davonfliegen. »Aber diese Bedingungen –«
    »Wir könnten ja alle mitkommen«, schlug Mom vor. »Wir stören dich nicht, lassen euch eure Konzerte machen …«
    »Moment.« Das war Annie, die in ihrem Schlafzimmer im ersten Stock offensichtlich die ganze Unterhaltung durch die Lüftung mit angehört hatte. »Wir fahren nach Europa? «
    In diesem Augenblick explodierte der gesamte Ostflügel des Hauses im brutalen Hämmern eines Schlagzeugs und einer E-Gitarre, was bedeutete, dass Caleb und Norrie alles angeschlossen hatten und sich bei voller Lautstärke warmspielten, bis ich endlich zu ihnen rüberkam und mitspielte. Sasha, unser Sänger, war noch nicht hier – er kam immer als Allerletzter, und seitdem er sich ein uraltes Indian-Motorrad gekauft hatte, das alle zwei Wochen verreckte, kam es auch häufiger vor, dass er mit dem Volvo seiner Mutter oder sogar auf dem Fahrrad kam.
    »Familienkonferenz?« Annie rauschte in einer Wolke aus einander bekriegender Parfums und Haarwässerchen an mir vorüber. »Ach, hallo, Linus.« Sie sah meinen Dad an. »Fahren wir nach Europa?«
    »Nein«, antwortete Dad.
    »Wieso darf Perry dorthin?«
    »Keine Angst, mein Schätzchen«, sagte Linus und funkelte Paula über Annies Kopf hinweg an. »Onkel Linus lässt nicht zu, dass die böse Frau
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