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Wiedersehen in Harry's Bar

Wiedersehen in Harry's Bar

Titel: Wiedersehen in Harry's Bar
Autoren: Joe Schreiber
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der dringend nach einem unberührten Opferlamm suchte.
    Dabei verhielt sich Paula die ganze Zeit absolut supercool. Sie kannte die Wahrheit und sagte immer nur, dass sie warten würde, bis ich so weit sei. Aber wie lange würde es noch dauern, bis ihre Erwartung sich in Enttäuschung verwandelte?
    Meistens versuchte ich einfach, nicht daran zu denken.
    Ein echt toller Plan, und manchmal funktionierte er auch fast.

4
    »The Loved Ones«
    – Elvis Costello and the Attractions
    Als wir bei mir zu Hause ankamen, saß Mom mit ihrem Laptop und einem Glas Wein in der Küche. Wir waren erst Ende Sommer dort eingezogen, die Arbeiter hatten immer noch an dem Anbau über der Garage zu tun. Außerdem lagen überall bunte Fliesen herum, ungefähr zweitausend Sorten Weiß. Auf unserem Küchentisch sah es aus wie bei einem Konzert von Michael Bolton.
    »Hallo, Perry. Ach, hallo, Paula. Wie war’s am Strand?«
    »Toll.«
    »Mir hat dieser Strandabschnitt schon immer sehr gefallen, besonders im Herbst.« Sie ließ den Blick über das Meer fast identischer Rechtecke gleiten, die auf dem Tisch ausgebreitet lagen. »Welche Farbe würdest du für das Bad im ersten Stock nehmen, mein Liebling? Isabelline oder Cosmic Latte?«
    »Mom«, sagte ich, »Paula und ich müssen dir was Tolles sagen.«
    Mom blickte auf. Ihre Gesichtszüge rutschten ihr vor Erstaunen nach unten. »Ihr wollt doch wohl nicht etwa heiraten?«
    »Was? Quatsch! «
    »Gott sei Dank!« Mom nahm sich ihr Weinglas. »Das soll nicht heißen, dass ich dich nicht haben möchte, Paula, aber –«
    »Schon gut, Mrs Stormaire«, sagte Paula und sah wiedermich an. Sie war immer noch nicht so weit, dass sie meine Mutter »Julie« nannte. »Als Perry das eben gesagt hat, hätte ich fast selbst einen Herzschlag bekommen.«
    »Dann nehme ich doch an, dass es auch nicht bedeutet, dass du …« Mom fuchtelte undeutlich vor ihrem Bauch herum.
    »Was?«, fragte ich. »Zu viel gegessen hast?«
    »Du weißt genau, was ich meine.«
    »Also ehrlich, Mom!«
    »Tut mir leid, Schatz, aber solche Gedanken gehen einer Mutter nun mal im Kopf herum.« Und noch ehe ich sie fragen konnte, warum diese Gedanken auch immer gleich aus ihrem Mund heraussprudeln mussten, beugte sie sich schon wieder über den Laptop, klickte ein paarmal und redete und tippte gleichzeitig. »Wisst ihr, ich hab mir gedacht, wo es doch jetzt unser erstes Thanksgiving im neuen Haus ist und ich weiß, dass deine Mutter, Paula, in Kalifornien wohnt … hättet ihr nicht Lust, Thanksgiving mit uns zu verbringen?«
    Ich holte tief Luft. »Kann sein, dass ich zu Thanksgiving überhaupt nicht hier bin.«
    Mom hörte auf zu tippen. Ich sah, dass sie ihre Facebook-Seite aktualisierte, und ich spürte, wie sich ihre Laune in der Stille veränderte. »Ach?«
    »Ich wollte euch sagen, dass –«
    »Was wolltest du uns sagen?« Das war Dad, der gerade mit seinem iPhone in der Hand und der Times unter dem Arm von der Treppe her um die Ecke kam. Er merkte sofort, dass mit der emotionalen Wetterlage in der Küche etwas nicht stimmte, und wandte sich meiner Mutter zu. »Ist was?«
    »Ich weiß nicht.« Mom runzelte die Stirn und zwei rote Flecken tauchten auf ihren Wangen auf. »Dein Sohn hat es mir noch nicht mitgeteilt.«
    »Perry?«, fragte mein Vater mit seiner strengen Anwaltsstimme. »Worum geht’s?«
    »Also«, fing ich an, was wahrscheinlich kein schlechter Anfang war, aber genau in diesem Augenblick hielt der verrostete Ecoline-Kleinbus mit quietschenden Reifen in unserer Einfahrt. Ich sah Norrie und Caleb herausspringen und ihre Gitarrenkoffer und das Schlagzeug mit der unbeirrbaren Zielstrebigkeit derjenigen, die ohne 250 Kilo Ausrüstung nirgendwo hinkönnen, in die Garage schleppen. In den vergangenen paar Wochen hatten wir immer bei uns geprobt, weshalb sie meine Nachricht hinsichtlich eines Treffens heute Abend für einen ganz normalen Probetermin gehalten hatten.
    »Ich muss kurz raus und mit den Jungs reden.«
    »Vielleicht wartest du damit lieber noch«, sagte Paula.
    »Warum?«
    Sie zeigte aus dem Fenster, aber das war nicht mehr nötig. Das tuberkulöse Röcheln des Wagens, der die Straße entlanggeschossen kam und direkt hinter dem Bus und Paulas Auto abbremste, war nicht zu überhören. Linus Feldman fuhr einen burgunderroten 1996er Olds 88, mit verrostetem Rahmen und abblätterndem Lack, dessen verbliebene Farbe wie ein alter Bluterguss aussah. Die Karre diente Linus auch als Büro, was bedeutete, dass der
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