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Wiedersehen in Harry's Bar

Wiedersehen in Harry's Bar

Titel: Wiedersehen in Harry's Bar
Autoren: Joe Schreiber
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europäische Steckdosen geeignet. Hinter der Bühne marschierte Linus fast ein Loch in den Boden der Garderobe, rauchte irgendeine Marke übelriechender englischer Zigaretten Kette und versicherte uns allen, dass letztendlich alles gut ausgehen würde. Draußen wurde das Publikum schon zappelig, während die Roadies an den Verstärkern herumfummelten, bis Sasha schließlich um Viertel nach neun aufstand und meinte, dass er nicht weiß, wie’s uns sogeht, aber er für sein Teil ist schließlich nicht um die halbe Welt geflogen, um wie ein Haufen amerikanischer Loser in einer Garderobe herumzuhocken, also Scheiß drauf.
    Dann sind wir rausgegangen und haben gerockt.
    Letztendlich hat es ungefähr dreißig Sekunden gedauert, bis wir geschnallt hatten, was uns schon von Anfang an hätte klar sein sollen: Wenn wir vier zusammenspielten, war es völlig egal, ob wir in New York, in London oder auf dem Mond spielten – wenn wir mit dem Rücken an der Wand standen, wie in diesen Augenblicken unseres Lebens, dann konnten wir jede Bude zum Kochen bringen.
    Obwohl die Hälfte der Verstärker aus war, jaulte und kreischte Calebs geliehene Gitarre wie die Kreissäge des Teufels, Sasha machte irgendwelche Verrenkungen, wie sie keiner von uns je zuvor gesehen hatte. Er fütterte die Menge an, bis sie nach noch mehr schrie, und Norrie spielte, als hätte er ein Silvesterfeuerwerk in seinem Schlagzeug gezündet. Wir flogen durch alle Songs auf unserer Liste und spielten dazu noch ein paar von denen, die wir kaum geprobt hatten, bis sogar die Rausschmeißer nach vorne kamen und tanzten. Ungefähr in der Mitte des Konzerts drehte ich mich zu Norrie um und sah, wie er mich angrinste, das absolute Spiegelbild meines eigenen schwindeligen Höhenflugs. Es ist wirklich wahr, dachten wir wohl beide im selben Augenblick. Verdammte Scheiße, wir erleben das wirklich – und zwar jetzt!
    Ganz vorne stieß Sasha seinen ureigenen Navajo-Kriegsschrei aus und sprang mit einem Helikopter-Tritt in die Luft, der den Mikrofonständer nur knapp verfehlte. »Hallo, Großbritannien!«, schrie er. »Wir sind Inchworm, und wir sind hier, um euch zu rocken – alles klar?«
    Das Publikum schien völlig durchzudrehen. Als wir fast drei Stunden am Stück gespielt hatten und mit einem alles hinwegfegenden Cover von »If the Kids Are United« von Sham 69 aufhörten, bei dem alle im Saal lauthals mitgrölten, wankten wir total erschöpft und schweißüberströmt von der Bühne. Wir grinsten wie Geistesgestörte und ließen uns, zusammen mit ein paar Mädchen aus der ersten Reihe, in eins von diesen schwarzen Taxis fallen und zum Hotel kutschieren. Ich rief Paula in New York an und erzählte ihr, wie es gelaufen war, während Sasha sich aus dem Fenster lehnte und laut »Wer will das noch mal machen?« brüllte.
    Wir alle.
    *
    Und jetzt, vierundvierzig Stunden später, waren wir in Venedig. Zwei Schritte vom Zug entfernt ließ Norrie seine Sporttasche neben der von Caleb auf den Bahnsteig fallen und warf sich darauf, als wäre sie ein großes Kissen, zog sich die Baseball-Kappe übers Gesicht und schloss die Augen. Linus hatte sich bis zum Schalter vorgekämpft und kaufte Fahrkarten fürs Wassertaxi, und Sasha war ihm, offensichtlich schon auf der Suche nach italienischen Mädchen, gefolgt. Von uns vieren schien er der einzige zu sein, dessen Batterie nie leer wurde, angetrieben von der Libido eines jungen Nashornbullen.
    Ich kramte gerade in meiner Tasche nach dem letzten Red Bull, als mein Handy klingelte. Auf der Anzeige erschien eine internationale Nummer, die ich nicht kannte.
    »Hallo?«
    »Perry?«
    »Ja.«
    »Hier ist George Armitage. Wie geht’s, Kumpel?«
    Ich richtete mich ein wenig auf und war mit einem Mal hellwach. »Ach, äh … gut … mir geht’s gut.« Obwohl ich schon so lange mit Paula zusammen war und mich oft mit ihr über ihn unterhalten hatte, wie er so war und alles, hatte ich noch nie mit dem Mann gesprochen.
    »Wie läuft’s denn so mit der Tour?«
    »Einfach genial. Wir waren in London … Es war unglaublich –«
    »Sehr schön. Mir gefallen eure neuen Songs, ganz ehrlich. Die Kritiken eures Auftritts in London waren bombastisch. Ihr Jungs kommt ganz groß raus – das ist euch doch klar, oder?«
    »Vielen Dank«, sagte ich. Vor mir lagen jetzt Caleb und Norrie lang ausgestreckt auf ihren Taschen. Es sah aus, als wären sie gemeinsam ins Koma gefallen. Norrie lief ein Speichelfaden aus dem Mundwinkel.
    »Ihr seid jetzt in
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