Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiedersehen in Harry's Bar

Wiedersehen in Harry's Bar

Titel: Wiedersehen in Harry's Bar
Autoren: Joe Schreiber
Vom Netzwerk:
Venedig, stimmt’s?«, erkundigte sich Armitage.
    »Stimmt genau. Gerade angekommen.«
    »Phantastisch, wirklich. Schade, dass ich nicht dort bin, um euch die Stadt zu zeigen.«
    »Ja, das wäre cool.« Einen Sekundenbruchteil überlegte ich, ob ich fragen sollte, wo er denn war, aber ich konnte gerade noch verhindern, dass mir die Frage über die Lippen sprudelte. Nach allem, was Paula erzählt hatte, war George Armitage ein streng zurückgezogener Mann. Wenn man ihn googelte – was wir natürlich alle getan hatten –, konnte man erfahren, dass er gebürtiger Brite war, seine britische Staatsbürgerschaft jedoch zurückgegeben hatte und sich die meiste Zeit auf Reisen befand, ein Medien-Multi-Bindestrich-Typ.Keiner wusste genau, wo er sein ganzes Geld herhatte. In den letzten Jahren hatte er seine Geschäfte globalisiert und war im Grunde sein eigener freischwebender, unabhängiger Staat geworden. Er besaß eine eigene Produktionsfirma, eine Verlagsgruppe und eine Fluggesellschaft. Dem Vernehmen nach hatte er mehr Zaster als er jemals brauchen würde.
    »Ich hoffe doch, dass ihr mir sofort Bescheid sagt, wenn ihr unterwegs etwas braucht.«
    »Vielen Dank«, sagte ich und wurde dabei das Gefühl nicht los, dass es für seinen Anruf noch einen anderen Grund geben musste. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
    »Hör mal, Kumpel. Ich will ja nichts zu früh aufs Tapet bringen, aber wenn ihr so weitermacht, könnte am Ende der Tour ein Plattenvertrag für euch rausspringen.«
    Mein Herz blieb einen Moment stehen. »Ehrlich?«
    »Absolut«, erwiderte Armitage. »Frag Paula. Die letzte Band, deren Tour ich auf die Beine gestellt habe, hat in den ersten zwei Monaten sechs Millionen Einheiten verkauft. Legenden werden im Feuer geschmiedet. Wir sprechen uns bald wieder. Tschüs.«
    Ich sagte auf Wiedersehen und trat gegen Norries Tasche, bis er sich auf die Ellbogen stützte und mir blinzelnd den Stinkefinger zeigte. »W-was hast du denn schon w-wieder, Stormaire?«
    »Eben grad hat mich George Armitage angerufen. Er hat uns einen Plattenvertrag angeboten.«
    »Armitage?« Norrie starrte mich an. Auf einmal sah er kein bisschen müde mehr aus. Caleb setzte sich neben ihm auf. »Was? Jetzt? «
    »Los, kommt«, sagte ich. »Wir suchen Linus.«
    Schon waren die beiden auf den Beinen und packten ihre Taschen, und ich schnappte meinen Gitarrenkoffer und folgte ihnen über den Bahnsteig. In meinem Kopf purzelten immer noch Armitages Worte wild durcheinander, dazu kamen von außen der Lärm und das ganze Gewimmel des Bahnhofs.

6
    »Another Girl, Another Planet«
    – The Replacements
    Das alles passierte so schnell, dass ich erst mitkriegte, was da eigentlich passierte, als es schon vorbei war. Eben noch ging ich hinter Caleb und Norrie durch die automatische Schiebetür in die Schalterhalle, im nächsten Augenblick stand ich ganz allein in der Menge.
    Ich drehte mich um und schaute in die Richtung, aus der ich gekommen war, weil ich dachte, dass ich irgendwie vor ihnen dort angekommen sei, aber da hinten waren sie nicht. Links von mir war ein großes Café, und irgendwo rechts befand sich eine ganze Reihe mit Fahrkartenschaltern. Ich sah jedoch weder Linus noch einen der anderen dort stehen. Überall wuselten Leute herum, die ihr Gepäck hinter sich herzogen oder Rucksäcke schleppten. Keiner davon sah auch nur im Entferntesten bekannt aus.
    Zehn Minuten in Venedig, und schon hatte ich mich verlaufen.
    *
    Ich ging aus dem Bahnhofsgebäude und die grauen Stufen hinab, die zum Canal Grande führten. Dann erstarrte ich mitten in der Bewegung.
    Erst in diesem Augenblick wurde mir so richtig klar, dass ich mich in einer Stadt befand, die keine Straßen, sondern lauter kleine Flüsse hatte. Hier fuhren keine Autos, sondernBoote. Es gab Kreuzungen, Nebenstraßen und Brücken, an denen Gondeln festgebunden waren. Über den halb überfluteten Eingängen und Treppen sah ich uralte Hotels und heruntergekommene Paläste, die langsam aber sicher in der Lagune versanken. Dicht über der Wasseroberfläche lag Nebel, Möwen kurvten über den Wasserstraßen dahin, ihre weißen Bäuche blinkten kurz auf, dann waren sie in der Dunkelheit verschwunden.
    Ich kaufte mir ein 24-Stunden-Ticket für das Vaporetto, bestieg das nächste Boot und rief Norrie an.
    »Alter«, sagte er, »w-wo bist du denn abgeblieben? Wir dachten schon, wir hätten dich jetzt v-völlig verloren.«
    »Mir geht’s gut. Ich hab euch am Bahnhof aus den Augen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher