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Wie weiter?

Wie weiter?

Titel: Wie weiter?
Autoren: Gregor Gysi
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Die Zahl der militärischen Konflikte nimmt stetig zu. Der Kapitalismus ist weder willens noch fähig, Auseinandersetzungen ohne Einsatz von Waffengewalt zu lösen.
    Dabei geht’s, aber nicht vorrangig, auch um die Profitinteressen der Rüstungsindustrie. Vor allem jedoch geht es um gesamtwirtschaftliche Interessen: in erster Linie um die Sicherung von Rohstoffen und um Märkte.
    Bundespräsident Horst Köhler – 1990 als Staatssekretär maßgeblich an der Gestaltung der deutschen Währungsunion beteiligt – hat das im Mai 2010 in einem Interview während eines Truppenbesuchs in Afghanistan ein wenig kompliziert, dennoch deutlich formuliert: »Meine Einschätzung ist aber, dass wir insgesamt auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen – negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.«
    Ich war der einzige Redner im Bundestag, der den Bundespräsidenten für seine Offenheit nicht kritisierte, sondern diese mit der Bemerkung begrüßte, dass wir Linken es bereits gesagt hätten, »dass es nicht um Schultüten geht, sondern dass wirklich wirtschaftliche Gründe hinter dem Afghanistankrieg stehen«.
    Das Aussprechen der Wahrheit kostete Köhler das Amt, wenige Tage später ging er.
    Am 1. Juni 2010, unmittelbar nach seinem Rücktritt, interviewte mich der Deutschlandfunk und hielt mir vor, Köhler habe damit »doch im Prinzip nur die Grundlage der deutschen Sicherheitspolitik beschrieben, denn die ist an den nationalen Interessen ausgerichtet, und dazu gehören auch freie Handelswege. Das ist im Weißbuch der Verteidigungspolitik so niedergelegt.« Darauf reagierte ich, wie ich bei diesem Thema immer zu reagieren pflege: »Richtig, und das haben wir schon immer kritisiert, weil wir gesagt haben, das kennen wir seit Jahrtausenden, dass Kriege aus ökonomischen Gründen geführt werden. Aber Sie dürfen ja nicht vergessen: Jede Bundesregierung begründet das anders. Hier ist gesagt worden, es ginge um den Kampf gegen Terror, dort, am Horn von Afrika, gegen Piraten und so weiter.«
    Inzwischen blasen alle, die in Afghanistan militärisch involviert sind, zum Rückzug, die Bundesrepublik auch. Ganz offenkundig stehen Einsatz und Gewinn in einem wenig effektiven Verhältnis, die »Verteidigung« unserer Demokratie am Hindukusch rechnet sich nicht.
    Und ein zweites, wozu der Kapitalismus weder willens noch fähig ist und warum ich Sozialist bin: Auf der Welt sterben in jedem Jahr etwa 70 Millionen Menschen, davon 18 Millionen an Hunger. Wir haben eine Landwirtschaft, die die gesamte Weltbevölkerung zweimal ernähren könnte. Warum ist es dann nicht möglich, dass alle Lebenden, also die Weltbevölkerung, ausreichend versorgt werden können? Es muss doch offenkundig an der Verteilung liegen. Warum begreifen wir nicht, dass insbesondere in diesem Hunger die Ablehnung und der Hass auf die »westliche Kultur« in großen Teilen der Welt wurzelt? Wenn wir den »Terror« wirksam bekämpfen wollen, sollten wir erst einmal unser eigenes Verhalten gegenüber den sogenannten Entwicklungsländern verändern und den Hunger dort überwinden. Der »Kampf gegen den Terror« wäre erfolgreicher, wenn er auch ein »Kampf gegen den Hunger« wäre. Er wäre zudem nicht nur billiger, sondern auch nachhaltiger und umweltfreundlicher.
    Drittens schließlich: Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, soziale Gerechtigkeit herzustellen. Es liegt im Wesen dieser Gesellschaft, dass ein verschwindend geringer Teil immer reicher und ein zunehmend wachsender Teil immer ärmer wird. Eine Minderheit bereichert sich auf Kosten der Mehrheit. Kein Mensch ist in der Lage, innerhalb eines normalen Arbeitslebens Milliarden allein durch eigene berufliche Tätigkeit, ohne Spekulation oder Bereicherung zu Lasten anderer zu verdienen. Brecht benannte das Problem und den kausalen Zusammenhang sehr pointiert in dem Vierzeiler: »Reicher Mann und armer Mann / Standen da und sah’n sich an / Und der Arme sagte bleich: ›Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.‹« Und Brecht machte die Verbindung dieser Frage mit dem Hunger in der Welt in einer
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