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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben?
Autoren: Sarah Bakewell
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Schreibtisch durchblätterte, bis zum letzten Menschen (oder einem anderen mit Bewusstsein begabten Wesen), der es von der Datenbank einer künftigen virtuellen Bibliothek abrufen wird, bedeutet jede neue Lektüre einen neuen Essais -Band. Die Leser nähern sich ihm aus ihrer ganz persönlichen Perspektive und bringen ihre eigenen Lebenserfahrungen ein. Gleichzeitig werden diese Erfahrungen durch Trends genährt, die unablässig kommen und gehen. Wer vierhundertdreißig Jahre Montaigne-Lektüre Revue passieren lässt, erkennt, wie sich diese Trends aufbauen und wieder verschwinden wie Wolken am Himmel oder wie Menschentrauben am Bahnsteig zwischen zwei Pendlerzügen. Jede Interpretation ist ihrer Zeit verhaftet. Dann taucht plötzlich eine neue Art und Weise auf, Montaigne zu lesen, und die alte wird so unzeitgemäß, dass sie bald nur noch Historikern verständlich ist.
    Die Essais sind also viel mehr als nur ein Buch. Sie sind ein Dialog mit Montaigne über die Jahrhunderte hinweg, und am Anfang steht jedes Mal der Ausruf: «Woher wusste er das alles über mich?» Gleichzeitig mit dieser Begegnung von Autor und Leser vollzieht sich ein kontinuierlicher Dialog zwischen den Lesern. Ob bewusst oder nicht: Jede Generation nähert sich Montaigne mit Erwartungen, die von ihren Zeitgenossen und von Lesern früherer Generationen geweckt wurden.Mit der Zeit erweitert sich dieser Kreis von Lesern immer mehr. Aus einer kleinen privaten Festivität wird ein großes, rauschendes Bankett mit Montaigne als unfreiwilligem Gastgeber.
    Dieses Buch handelt von Montaigne, dem Menschen und Schriftsteller. Es handelt aber auch von jenem großen Montaigne-Fest, von den öffentlichen und privaten Dialogen über einen Zeitraum von vierhundertdreißig Jahren. Ein ungewöhnlicher und holpriger Weg, denn Montaignes Buch bewegte sich nicht durch die Zeit wie ein Kieselstein, der vom Flusswasser glattgeschliffen wird. Es wurde vielmehr hin und her geworfen, nahm unterwegs Material auf und stieß immer wieder auf Hindernisse. Auch das vorliegende Buch lässt sich von der Strömung mitnehmen. Es verläuft «geplant planlos» und folgt keinem festen Kurs. Zunächst hält es sich strenger an die Person: an Montaignes Leben, seine Persönlichkeit und seinen literarischen Werdegang. Später löst es sich davon und erzählt Geschichten über Montaignes Essais und seine Leser – bis in die unmittelbare Gegenwart. Es ist ein Buch des 21. Jahrhunderts und erzählt damit unweigerlich von einem Montaigne des 21. Jahrhunderts. Wie es in einem seiner Lieblingssätze heißt: Wir können unserer eigenen Sichtweise nie entkommen. Wir müssen mit unseren eigenen Beinen gehen und können nur auf unserem eigenen Hintern sitzen.
    Die meisten Menschen, die Montaignes Essais lesen, erwarten sich etwas ganz Bestimmtes. Sie suchen Unterhaltung, Erleuchtung, historische Einsichten oder etwas Persönlicheres. Einer Freundin, die wissen wollte, wie sie Montaigne lesen solle, empfahl Gustave Flaubert:
    Lesen Sie ihn nicht, wie die Kinder lesen, um sich zu vergnügen, noch wie die Ehrgeizigen lesen, um sich zu bilden. Nein, lesen Sie, um zu leben.
    Unter dem Eindruck von Flauberts Empfehlung greife ich die zentrale Frage der Renaissance auf: «Wie soll ich leben?», und benutze sie als Seil, an dem ich mich entlanghangle, um einen Weg durch das Dickicht von Montaignes Leben und Nachleben zu finden. Die Frage bleibt das ganze Buch hindurch stets dieselbe, aber jedes Kapitel setzt zu einer neuen Antwort an, wie sie Montaigne selbst gegeben haben könnte.Tatsächlich beantwortete er für gewöhnlich Fragen mit neuen Fragen und mit einer Vielzahl von Anekdoten, die oft in unterschiedliche Richtungen weisen und zu widersprüchlichen Schlussfolgerungen führen. Und diese Fragen und Geschichten waren seine Antworten oder Möglichkeiten, der Frage auf den Grund zu gehen.
    Daher hat auch jeder der zwanzig Antwortversuche dieses Buches die Form einer Anekdote: einer Episode oder eines Themas aus Montaignes Leben oder dem Leben seiner Leser. Es sind keine endgültigen Antworten, doch in diesen zwanzig «Versuchen», eine Antwort zu geben, werden wir Gesprächsfetzen jenes Dialogs über die Jahrhunderte aufgreifen. Wir werden aber auch die Gesellschaft Montaignes selbst genießen, der ein genialer Gesprächspartner und Gastgeber ist.

1
Frage: Wie soll ich leben?
Antwort: Habe keine Angst vor dem Tod!
«… am Rande der Lippen zu hängen»
    Montaigne war nicht immer ein geselliger
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