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Wie man mit einem Lachs verreist

Wie man mit einem Lachs verreist

Titel: Wie man mit einem Lachs verreist
Autoren: Umberto Eco
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Häuserwänden entlangstreicht. Sie darf ihre Identität nur im Nebeldunst suchen, nicht im Sonnenglanz. Im Nebel geht man langsam voran, man muß die Wege kennen, um sich nicht zu verirren, aber man kommt trotzdem immer irgendwo an.
    Der Nebel ist gut und belohnt diejenigen, die ihn kennen und lieben. Im Nebel zu gehen ist schöner, als durch den Schnee zu stapfen und ihn mit den Schuhen niederzutreten, denn der Nebel bestärkt dich nicht nur von unten, sondern auch von oben, du besudelst ihn nicht, du zerstörst ihn nicht, er umstreicht dich liebevoll und fügt sich wieder zusammen, wenn du weitergegangen bist, er füllt dir die Lungen wie guter Tabak, er hat einen starken und gesunden Geruch, er streicht dir über die Wangen und schiebt sich zwischen Kragen und Kinn, um dich am Hals zu kratzen, er läßt dich von weitem Gespenster sehen, die sich auflösen, wenn du näher kommst, oder er konfrontiert dich plötzlich mit vielleicht realen Gestalten, die dir jedoch ausweichen und im Nichts verschwinden. Leider müßte immerzu Krieg und Verdunkelung sein, denn nur in jenen Zeiten gab der Nebel sein Bestes, aber man kann nicht immer alles haben. Im Nebel bist du in Sicherheit vor der äußeren Welt, auf du und du mit deinem Innenleben. Nebulat, ergo cogito.
    Zum Glück kommt es häufig vor, wenn kein Nebel über der alessandrinischen Ebene liegt, besonders am frühen Morgen, daß es »dunstet«. Eine Art von nebligem Tau, der sonst die Wiesen überglänzt, steigt auf, um Himmel und Erde
    ineinanderfließen zu lassen und dir leicht das Gesicht zu befeuchten. Anders als bei Nebel ist die Sicht überscharf, aber die Landschaft bleibt hinreichend monochrom, alles verteilt sich auf zarte Nuancen von Grau und tut dem Auge nicht weh. Man
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    muß aus der Stadt hinaus und über Landstraßen fahren, besser noch über schmale Wege an schnurgeraden Kanälen entlang, auf dem Fahrrad, ohne Halstuch, mit einer Zeitung unter der Jacke, um die Brust zu schützen. Auf den Feldern von
    Marengo, wo das Mondlicht glänzt und dunkel ein Wald sich regt und rauscht zwischen Bormida und Tanaro, sind schon zwei Schlachten gewonnen worden (1174 und 1800). Das
    Klima ist anregend.
    San Baudolino
    Der Schutzpatron von Alessandria ist San Baudolino (»O San Baudolino / schütze vom Himmel herab / unsere Diözese / und das getreue Volk«). Folgendes erzählt von ihm Paulus
    Diaconus in seiner „Historia Langobardorum“:
    Zur Zeit König Liutprands, an einem Ort namens Foro, nahe am Tanaro, glänzte ein Mann von wunderbarer Heiligkeit, der mit Hilfe der Gnade Christi viele Wunder vollbrachte, dergestalt, daß er oftmals die Zukunft voraussagte und die fernen Dinge ankündigte, als wären sie gegenwärtig. Einmal geschah es, als der König zur Jagd in den Wald von Orba gekommen war, daß einer der Seinen beim Versuch, einen Hirsch zu erlegen, mit einem Pfeil den Neffen des Königs verletzte, einen Sohn seiner Schwester mit Namen Anfuso. Als Liutprand, der den Knaben sehr liebte, das sah, begann er über sein Unglück zu klagen und sandte sogleich einen seiner Ritter zu dem Gottesmanne Baudolino, ihn zu bitten, er möge zu Christo beten für das Leben des unglücklichen Kindes.
    Ich unterbreche das Zitat für einen Augenblick, um dem Leser Gelegenheit zur Formulierung seiner Prognosen zu geben. Was hätte ein normaler, also nicht aus Alessandria stammender Heiliger hier getan? Fahren wir nun fort und erteilen dem Paulus Diaconus wieder das Wort:
    Während der Ritter sich auf den Weg machte, starb der Knabe.
    Woraufhin der Prophet, als er den Ritter ankommen sah,
    folgendermaßen zu ihm sprach: »Ich kenne den Grund deines Kommens, aber was du verlangst, ist unmöglich, denn der Knabe ist bereits tot.« Der König, als er diese Worte
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    vernommen, erkannte in aller Klarheit, sosehr ihn die
    Nichterhörung seines Gebetes auch schmerzte, daß der
    Gottesmann Baudolino mit prophetischem Geiste begabt war.
    Ich würde sagen, Liutprand hat sich gut verhalten und die Lehre des großen Heiligen verstanden. Welche besagt, daß Wunder im wirklichen Leben nicht zu oft vollbracht werden können. Und ein Weiser ist, wer sich nach ihrer Notwendigkeit fragt.
    Baudolino hat das Wunder vollbracht, einen leichtgläubigen Langobarden davon zu überzeugen, daß Wunder eine sehr
    seltene Ware sind.
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    Anmerkungen der Übersetzer
    S. 28: Don Ferrante ist eine Figur in Manzonis Roman „Die Verlobten“.
    S. 31: Bankier Calvi: Anspielung auf
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