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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Glavinic
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geblättert, weiß man, wie man das Ende einer Beziehung bekanntgeben müsste.
    Wenn man eines Nachmittags nachgerechnet hat und laut
Die
Persönlichkeit
ein siebenundachtzigprozentiger Sitzer ist, wählt man eine dritte Möglichkeit: Man geht einfach nicht mehr hin. Man besucht Claudia nicht mehr, man lässt sich nicht mehr bei ihren Eltern sehen, man verzichtet auf alle Erklärungen, Anrufe und Briefe. In der Schule setzt man sich neben Paul, und damit ist die Sache erledigt.
     
    Nachdem der Staub gesunken ist, gibt es allenfalls ein paar bissige Bemerkungen von Claudia. Ein kleiner Schmerz bleibt. Eine Art Wehmut. Die Erinnerung an ahnungslose Abende bei Musik von Led Zeppelin, das Besinnen auf eine Zeit, in der man noch nichts wusste.
    Dieses Gefühl bleibt für immer.
    Man hüte sich davor, dieses Gefühl mit Liebe zu verwechseln. Es ist mit Nostalgie und Heimweh verwandt und hat mit dem verlassenen Partner nichts zu tun. Aus:
Freie Werte
.
     
    Claudia zu verlieren und Veronika nicht zu bekommen kann man verschmerzen, wenn man sich vorübergehend mit der frivolen Mary vergnügt, deren pralle Ausstrahlung auch manchen Schülern der Abschlussklassen und sogar Lehrern die Sinne verwirrt. Grete, die einem schöne Augen gemacht hat, wollte plötzlich nichts mehr von einem wissen, nachdem man sich von Claudia befreit hatte, der Himmel weiß warum.
    Schöner als Claudia ist Mary nicht. Sie hat Sommersprossen und ist fett, der Ziege Gemahl ist ihr häufiger Gast, und mit Veronika gar ist sie überhaupt nicht zu vergleichen. Aber sie hat größere Brüste und größere Erfahrung, und man weiß aus Zeitschriften, die Tante Ernestine niemals abonnieren würde, dass eine Frau mit Erfahrung das Beste ist, was einem Mann passieren kann.
    So dumm, sich in der Klasse neben sie zu setzen, ist man jedoch nicht. Jeder weiß, dass man mit Mary schläft, und damitgenug. Etwas dem eigenen Image Zuträglicheres kann man sich nicht denken. Man ist der Mann, der mit Marys intimsten Stellen auf Du und Du steht. Man ist unzweifelhaft geadelt, ein Dickerchen zwar, aber doch keiner, der auf der Strecke bleibt. Und das Nicht-nebeneinander-Sitzen lässt einem die Möglichkeit offen, Gerüchte zu streuen, Vermutungen aufkommen zu lassen. Es handelt sich ja nicht um die große Liebe, alles weist vielmehr auf eine faszinierend schmutzige Sexbeziehung hin. Nicht undenkbar ist es also, dass man mit Sabine, mit der man in der Pause so nett plaudert, ebenfalls geschlafen hat. Oder schläft. Nicht anders bei Susi. Und bei Hannah. Unser Charlie hat es faustdick hinter den Ohren, flüstern die anderen.
    Wenn man sich eines freien Nachmittags während der Schulsportwoche mit Mary ins Mädchenzimmer zurückgezogen hat und Geschlechtsverkehr praktiziert, als Veronika ins Zimmer kommt, große Augen macht und erst nach einigen langen Sekunden eingehender Betrachtung des Spektakels hinausläuft, weiß man zweierlei: Man wird nie aufhören zu wünschen, dass Veronika Marys Platz einnimmt. Und die eben erlebte Peinlichkeit war mitnichten so peinlich, dass man sich wünschte, sie hätte nicht stattgefunden. Denn dem Geraune über die eigene Person nützt sie, da Veronika nicht nur wunderschön, sondern auch dem Tratsch zugetan ist.
     
    Merke: Wenn man fickt, ist man jemand. Aus:
Die große Geschichte der Rockmusik, psychologisch betrachtet.

 
    Tanzen ist kein würdiger Zeitvertreib für heterosexuelle Männer. Trotzdem kann es vorkommen, dass man die Diskothek
Prawda
besucht, weil sie das Stammlokal von Iris aus der Parallelklasse ist, auf die man ein Auge geworfen hat. Klugerweise sucht man sich mit ihr eine Frau aus, der ebenfalls ein paar Kilo zuviel auf den Hüften liegen und die die gleichen Hautprobleme plagen. Man soll ja nicht gleich nach den Sternen greifen. An Veronika gibt es natürlich nichts auszusetzen, rank und schlank, wunderschön und sauber, kühl und intelligent sitzt sie in der Klasse, eine Persönlichkeit, unerreichbar für den Fettsack in der letzten Reihe.
     
    Merke: Mit wem man geht, ist zumeist eine Frage der Gelegenheit, nicht der Wünsche.
     
    Verliebt zu sein ist immer wieder ein einzigartiges Erlebnis. Man reitet auf Wolken. Man träumt. Man ist ein anderer Mensch. Und dies alles ungeachtet dessen, ob die Liebe erwidert wird. Es gibt Menschen, die sich willentlich in die Erstbeste oder den Erstbesten verlieben, nur um von diesem Gefühl angeweht zu werden, um sich zu vergewissern, dass sie lebendig sind.
    Wenn man mit
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