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Wie ich Rabbinerin wurde

Wie ich Rabbinerin wurde

Titel: Wie ich Rabbinerin wurde
Autoren: Elisa Klapheck
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Niederländer vermisst habe und die ich in New York ebenso wenig finden würde. Was immer es ist, ich würde Lilo die Gründe nicht vermitteln können. Nach den Jahren, die ich nicht zu Hause, sondern im Internat aufgewachsen bin, ist ein Band zwischen uns zerrissen. Es hat alles damit zu tun, dass ich Jüdin bin.
     
    Lilo ist 1935 in Rotterdam geboren. Dorthin sind ihre Eltern geflüchtet. Lilo spricht, als sie als kleines Mädchen irgendwann in den 40er Jahren in einem Versteck in Deutschland untergebracht wird, nur Niederländisch und Französisch. Da hat sie schon eine lange Odyssee durch Europa hinter sich – angefangen 1940 mit dem deutschen Bombardement auf Rotterdam, dann die Flucht nach Belgien, Frankreich und schließlich in die Schweiz, die alle deutschen Juden wieder nach Deutschland zurückschickt. Unter Deutschen zu leben bedeutet für Lilo, täglich die Zeichen der Verfolgung wiederzuerkennen. Die kleinste Unstimmigkeit im Alltag reicht aus, das Horrorszenario ihrer Kindheit heraufzubeschwören. Demgegenüber bleibt »Holland« für Lilo das Sinnbild einer toleranten, liberalen und gerechten Gesellschaft, die stets die jüdischen Flüchtlinge willkommen geheißen hat: das Land Spinozas, des marranischen Juden, der die philosophischen Grundlagen für den modernen freiheitlichen Staat legt, und das Land Rembrandts, der sich mit dem »Volk Israel« identifiziert, jenes kleine Land ohne Anspruch auf Weltherrschaft, das, wie Lilo meint, ohne Vorurteile sei, aufgeschlossen und weltoffen, ja schon fast selbst jüdisch, und das so furchtbar unter der deutschen Besatzung gelitten hat – unter der Zwangsarbeit im »Arbeitsdienst«, dem Hungerwinter von 1944, als die Menschen, wie Lilo es ausdrückt, »wie die Fliegen auf der Straße zusammenklappen«, und dem Ende des Krieges, als die abziehenden Deutschen alle Deiche stechen, um das ganze Land unter Wasser zu setzen.
     
    Mein Vater, ein erfolgreicher moderner deutscher Kunstmaler, verhält sich gegenüber den wachsenden seelischen Problemen meiner Mutter hilflos. Sie belasten zunehmend die Familie und führen zu immer unerträglicher werdenden Spannungen zwischen Lilo und mir. Mit 13   Jahren werde ich in ein Internat im Nordosten der Niederlande eingeschult.
    Ich lerne jedoch andere Niederlanden kennen als Lilo – ich erlebe ein Land, in dem ein jüdisches Mädchen in den 70er Jahren mindestens genauso viele unangenehme Erfahrungen machen kann wie zur gleichen Zeit in Deutschland. In dem Internat leben überwiegend Schüler aus Familien der vermögenden niederländischen Unternehmerschicht. Die Nachkriegszeit, in der es noch einfach ist, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden – das heißt zwischen Freiheit und Gerechtigkeit auf der einen Seite und deutscher N S-Besatzung und Willkürherrschaft auf der anderen   –, ist dieser jüngeren Generation kaum mehr präsent.
    In Internaten treffen sich nicht unbedingt die Begabtesten und Kultiviertesten, sondern oft die Kinder, an denen die Eltern gescheitert sind. Auch hier in der
International School Eerde
ist dies so. Ich empfinde mich unverhofft an einen Ort verbannt, dessen Atmosphäre fortwährend von Gewalt getränkt ist. Unter den Jugendlichen herrscht eine klare Hackordnung. Als Deutsche, die anfangs noch mit Akzent Niederländisch und Englisch spricht, habe ich schlechte Karten. Ich wirke arglos, mache anfangs immer meine Hausaufgaben, schwänze den Unterricht nicht, interessiere mich für den Schulstoff, schließe mich den Kiffrunden nicht an und lasse es bei den Avancen eines Jungen, obwohl ich verliebt bin, nicht richtig zum Sex kommen, was sich unter allen Jungen herumspricht. Ich bin das
duitse trutje
– das »deutsche Schnepfchen«. Was deutsch ist, ist verpönt. Eigentlich bin ich selbst auch deutschfeindlich gesinnt. Ich habe aber nicht erwartet, selber einmal zur Zielscheibe für deutschfeindliche Sprüche zu werden. Doch auch mein Jüdischsein erntet verächtliche Bemerkungen.
    Aus dem alten Schulrektor, Kees Oudshoorn, spricht noch die geistige Haltung, mit der Quäker hier in den 30er Jahren ein Internat für jüdische Flüchtlingskinder aus Deutschland eingerichtet haben, um sie für die Emigration nach England vorzubereiten. Mehrere Freunde von Lilo und Konrad sind auf diese Schule gegangen. Herr Oudshoorn, selbst auch ein Quäker, verehrt Lilo und behandelt mich mit besonderem Wohlwollen. Ich besuche ihn regelmäßig zu Hause in seinem Arbeitszimmer mit einer damals für mich
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