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Wie ich Brad Pitt entführte

Wie ich Brad Pitt entführte

Titel: Wie ich Brad Pitt entführte
Autoren: Michaela Grünig
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musste. »Dauerdienst« nannten die Beamten die Schichten, in denen man am Telefon oder auch am Schalter den Bürgern zur Verfügung stehen musste. Nicole fühlte sich eindeutig zu Höherem berufen.
    »Wir waren gestern Abend um halb sieben bei mir verabredet. Und er ist einfach nicht erschienen.«
    Man sah der gepflegten, etwas üppigen Mittfünfzigerin an, dass sie sich sehr darum bemühte, nicht die Beherrschung zu verlieren. Trotzdem nahm ihre Stimme einen fast weinerlichen Ton an, als sie hinzufügte: »Auch auf meine Telefonate hat er nicht reagiert.«
    Nicole fuhr sich mit einer Hand über ihren akkurat gestutzten pechschwarzen Pagenkopf. Sie versuchte, so einfühlsam wie möglich zu wirken. Doch sie ahnte bereits, dass dieser Fall wie die meisten Vermisstenanzeigen von Erwachsenen nicht in das Aufgabengebiet der Polizei fiel. Mündige Bürger durften selbst über ihren Aufenthaltsort entscheiden, und wenn jemand nicht gefunden werden wollte, war das sein gutes Recht. Sie blickte mit einem innerlichen Seufzen auf das Plakat vor ihr: Zwei Polizeibeamte in Uniform, ein Mann und eine Frau, warben mit dem Slogan »Professionell, bürgerorientiert und rechtsstaatlich.« Auch wenn es ihr im Dauerdienst manchmal schwerfiel, sie wollte diese Werte unbedingt perfekt verkörpern.
    »Ist er denn nicht zur Arbeit erschienen, Frau …?«
    »Mehlmann-Larsen. Ich heiße Margot Mehlmann-Larsen.«
    »Frau Mehlmann-Larsen, haben Sie sich bei seinem Arbeitgeber erkundigt?«
    Die Dame mit dem Doppelnamen schniefte kurz, kramte aus der edlen Handtasche ein Taschentuch und betupfte ihre Augen, ohne das kunstvolle Make-up zu zerstören.
    »Frank arbeitet nicht«, sagte sie leise. »Wir haben es uns einfach so schön gemacht. Haben Golf gespielt. Sind gereist.« Wehmütig blickte sie Nicole an. »Wissen Sie, ich habe ein bisschen was geerbt und wir wollten …«
    Jetzt war es doch geschehen. Sie brach in Tränen aus. Nicole wartete, bis die Dame sich wieder einigermaßen gefasst hatte. Normalerweise konnte sie sich nicht so viel Zeit nehmen, aber auf der Wache war es heute außergewöhnlich ruhig.
    »Frau Mehlmann-Larsen, ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«
    Die mittelalterliche Dame nickte, während ihr noch immer Tränen aus den Augen kullerten.
    »Glauben Sie, dass bei Ihrem Verlobten … wie heißt er?«
    »Frank Hagedorn.«
    »Gehen Sie davon aus, dass bei Ihrem Verlobten, Frank Hagedorn, Gefahr für Leib oder Leben besteht?«
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Frau Mehlmann-Larsen verstört.
    »Ist er suizidgefährdet?«
    »Nein, natürlich nicht! Wir wollten heiraten …« Beim Wort »heiraten« fing Frau Mehlmann-Larsen schon wieder an, zu schluchzen.
    »Ist Herr Hagedorn dement? Könnte er sich verlaufen haben?«
    »Nein!«
    »Wie alt ist Herr Hagedorn denn? Ist er gehbehindert oder anderweitig auf Hilfe angewiesen?«
    Plötzlich war die Dame auf der anderen Seite von Nicoles Schreibtisch still. Nur ihr gewaltiger Busen wogte rhythmisch auf und ab.
    »Sein Alter? Aber das tut doch nichts zur Sache«, sagte sie mit einem merkwürdigen Unterton.
    »Wenn jemand in die Jahre kommt, können schon eher mal körperliche Gebrechen auftreten und …«
    »Er ist vierunddreißig Jahre alt.« Mehlmann-Larsen schob kriegerisch ihr Kinn nach vorne, so, als wollte sie sagen: »Wehe, Sie sprechen mich auf den Altersunterschied an!«
    Aber Nicole dachte sich ihren Teil. Dieser alten Schnepfe war ihr taufrischer Liebhaber abhandengekommen, und jetzt sollte die Polizei ihn ihr wiederbringen.
    »Sehen Sie, Frau Mehlmann-Larsen, mir sind die Hände gebunden. Die Polizei darf sich nur dann in die Privatangelegenheiten einer vermissten Person einmischen, wenn ein berechtigter Verdacht auf ein Verbrechen besteht. Nur bei Gefahr für Leib oder Leben wird die Polizei tätig. Bei Herrn Hagedorn scheint mir dies aber nicht gegeben. Deshalb kann ich leider nichts für Sie tun.«
    »Waaas?« Bei Mehlmann-Larsen schien jetzt die aufkeimende Wut eindeutig ihre Trauer zu überwiegen. »Sie lassen mich hier einfach so wieder gehen? Frank könnte wer weiß was zugestoßen sein! Und Sie unternehmen nichts! Ich werde Sie verklagen!«, kreischte sie aufgebracht.
    Nicole hatte selbstverständlich auch ein Anti-Aggressions-Training absolviert und ließ sich durch solche ungerechtfertigten Beschuldigungen nicht provozieren.
    »Vielleicht musste Ihr Verlobter einfach verreisen und hat vergessen, Sie zu benachrichtigen? Es gibt so viele Möglichkeiten. Ich
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