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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
Autoren: Michael Jürgs
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Das bessere System habe sich als siegreich erwiesen, lautete ihre angeberische Botschaft, und sie als Vertreter des Besseren seien die wahren Sieger. Maaz: »Wir haben es hingenommen, als die Wessis sagten, ist ja ganz schön gewesen mit euren revolutionären Ideen, aber die brauchen wir jetzt nicht mehr, jetzt kümmern wir uns um euch. Wir Ossis sind also selbst schuld, schieben aber nichtsdestotrotz die Schuld auf die Wessis.« Auch bei dieser merkwürdigen Mischung von Schuldgefühlen und Schuldzuweisungen wäre seine Analyse der zerrissenen Volksseele sicher hilfreich.
    Es sei die bis in den Alltag hinein spürbare Arroganz der Westdeutschen,
die eigentlichen Sieger zu sein, die sie noch heute so verbittere, bestätigten mir nicht nur die Verlierer der Einheit, bei denen eine Verbitterung noch verständlich wäre. So argumentieren auch die Gewinner. Sie messen das Erreichte an dem, was im Westen in über vierzig Jahren wirtschaftlicher Blüte mit harter Arbeit erreicht worden ist, statt ihr neues Leben, was angebracht wäre, mit den Verhältnissen in den ehemaligen sozialistischen Bruderländern zu vergleichen. Die hatten und haben viel größere Hürden zu überwinden auf dem Weg zur Marktwirtschaft, weil ihnen keine reiche Schwester bei der Sanierung der Trümmerlandschaft half, die der Sozialismus hinterlassen hatte. Aber die Brudervölker stimmen keine Jammerchöre an, obwohl ihr Lebensstandard weit unter dem der Ostdeutschen liegt.
    Was außerdem zum allgemeinen Frust beiträgt, sind die geplatzten Illusionen von der Warenwunderwelt des Westens, die in der Einheit jedem erschwinglich sein würde. Entpolitisierung als »Gegenwelle zur gerade erlebten politischen Bewegung« war laut Maaz die Folge. Sie hätten nach dem Umbruch ihre gesamte Geschichte selbst aufarbeiten müssen, »hätten selbst unseren Saustall in Ordnung bringen müssen. Wir selbst hätten die Urteile sprechen müssen über die Täter. Dafür hätten wir aber mehr Zeit gebraucht. Danach erst hätte man verhandeln sollen über die einzelnen Bedingungen der Einheit.« Im selben Atemzug gibt er aber zu, dass diese Analyse des Psychiaters fern der damaligen Wirklichkeit ist. »Wie das politisch hätte umgesetzt werden können, weiß ich nicht, war tatsächlich wohl bei dem Zeitdruck nicht machbar.« Für die psychische Entwicklung der Ostdeutschen ist das Versäumnis dennoch »im Blick zurück aus heutiger Sicht ein großer Fehler gewesen«.
    Weil sich viele Ossis nicht mehr erinnern wollen, welchen finsteren Zeiten sie entronnen sind, werden sie von den Westdeutschen daran erinnert. Es war ja nicht nur die Stasi, die ihr Leben bedrückte. Es war die SED, deren Nachfolgepartei Die Linke heute in fast allen neuen Bundesländern schon wieder zweitstärkste Kraft geworden ist. Deren Erfolge sieht Eppelmann
nicht als Zufall, denn die »Aktivisten des Widerstandes waren in Wahrheit nur ganz wenige. Deutlich unter tausend.« Die Kleiderordnung hatte sich über Nacht geändert, die bisher getragenen Kleider wurden gewendet, aber hineingewachsen sind die meisten Ostdeutschen bis heute nicht.
    Die Anpassung an den Zeitgeist scheint nicht gelungen, es ist nur eine Als-Ob-Anpassung. Also behaupten viele, sie seien an der Einheit innerlich zerbrochen.Was von den Westdeutschen als durchsichtiges Manöver der Ostdeutschen angesehen wird, um mehr rauszuholen für sich. Geld natürlich, was sonst.
    Maaz selbst zählt sich zu den Gewinnern, obwohl er auf eigenem Terrain, in seinem Behandlungszimmer, auf mich ziemlich verloren wirkt. Rechts an der Wand steht die Couch. Draußen wartet ein Patient auf ihn. Nach seiner Theorie müsste es in den neuen Bundesländern Millionen von Patienten geben. Die Diagnose über die Ursachen ihrer Beschwerden würde etwa so lauten: eine Mischung aus depressiver Resignation, weil es keine Wiedergutmachung geben kann für gescheiterte Lebenspläne, einer nach wie vor vorhandenen ohnmächtigen Wut über den Verrat ihrer Ideale durch die sozialistischen Menschheitsbeglücker und immer noch tiefen Minderwertigkeitsgefühlen wegen der Abhängigkeit vom Wohlwollen der anderen Deutschen. Da bei einer solchen Gemengelage von Symptomen kaum ein Psychiater helfen kann, retten sich viele Ostdeutsche selbst, flüchten in eine einfache Therapie, indem sie ihre Vergangenheit schlicht verklären, denn die kann ihnen von den selbst ernannten Siegern nicht auch noch genommen werden. »Dabei seid ihr doch nur Zuschauer gewesen«, poltert
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