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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
Autoren: Michael Jürgs
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hauen wie ein paar Aktien.«
    Ein für Jauch typischer Satz. Bloß nicht angeben mit dem, was man hat und sich aufgrund eigener Leistung leisten kann. Dass er und andere Neubürger besonders unter Beobachtung des noch ziemlich gemeinen Volkes stehen, kann er verstehen. Das sei auch okay. Aber wenn dann aus reiner Schikane die für alle geltenden Gesetze so ausgelegt werden, dass die Eisenstäbe an einem Kellerfenster sechsfach und nicht dreifach gewunden sein müssten, dann verliert auch der ruhige Herr Jauch die Geduld.
    Die Obrigkeit, fettärschig grau, aber noch in ihrer alten Wolle
gefärbt, lernte die andere Seite des Bürgertums kennen: sich nichts gefallen zu lassen. Das ist in der Tat eine westdeutsche Eigenschaft, gewachsen in vielen Jahren des aufrechten Gangs. Diese Haltung brachte der Bauherr Jauch mit nach Potsdam, denn »nie vergesse ich, wie meine Mutter beim Bau einer kleinen Doppelhaushälfte alle drei Wochen mit einem selbst gebackenen Nusskuchen aufs Bauamt in Berlin marschierte, um den Beamten für die Bewilligung eines bescheidenen Carports im Vorgarten gnädig zu stimmen«.
    Die Anmerkungen über im Aufbau Ost gesammelte Erfahrungen eines nicht gerade unbekannten Ruinenbaumeisters, der nichts geschenkt haben wollte, sondern zu schenken bereit war, bewirkten ein Aufbrechen der verkrusteten Strukturen. Jauch wollte nur erreichen, dass sich Bürger und öffentlich Besoldete fortan auf Augenhöhe begegnen, nicht die einen als Bittsteller zu den anderen kriechen müssen. Das schaffte er. Er neigt aber auch im Sieg nicht zu Pauschalurteilen. Unter den neudeutschen Bauherren gebe es viele Rowdys, die Gesetze nicht interessierten und die man mit Recht bremsen müsse, und unter den Beamten gebe es viele sachkundige Mitarbeiter, die guten Willens sind. Den Werner-Bonhoff-Preis für »Überwindung bürokratischer Hürden«, den Jauch für sein Engagement bekam, dotiert mit hunderttausend Euro, spendete er für soziale Einrichtungen und Schulen, die keine staatlichen Fördergelder bekommen.
    Darüber spricht er nicht, als wir bei einem Wein sitzen, der auf einem Weinberg in Neuseeland gewachsen ist und inzwischen auch hier und da in Potsdam ausgeschenkt wird. Dass er sämtliche Gewinne aus seinen Werbeauftritten an die weitergibt, die im Schatten leben. Dass er für den Wiederaufbau des Potsdamer Fortuna-Portals dreieinhalb Millionen Euro überwiesen hat und sich zum Beispiel mit vielen Hunderttausend Euro an der Renovierung des Marmorpalais beteiligte unter der Bedingung, das marode Dach müsse zuvor auf Staatskosten gedichtet werden, preist stattdessen Matthias Platzeck, wenn er seinen Potsdamer Mitbürger als einen Mann ehrt, wie ihn sich jeder Bürgermeister nur wünschen könne.
Günther Jauch lebt seit 1995 am Heiligen See zu Potsdam. »Ich bin jetzt hier so viele Jahre, und da gehe ich auch nicht mehr weg.«
    Meine Bilanz der Einheit sei vorläufig und subjektiv, schrieb ich am Anfang des Buches. Das könnte zum Ende der Reise auch hier stehen. Wäre aber ein zu abrupter Schluss. Es gibt allerdings keine gültigen Urteile, was den Stand der Einheit betrifft, und vor allem keine allgemein gültigen und deshalb keine einfache Antwort auf die Frage, wie es Deutschland so gehe.
    Da es inzwischen sogar in Oberammergau keine Sensation mehr ist, wenn ein Kellner sächselt, lässt dies vermuten, dass die Einheit beim Volk angekommen ist. Da inzwischen westdeutsche Studenten in Greifswald oder Jena oder Dresden studieren und nicht heimwehkrank durch die Bahnhofshallen schleichen, da die künftigen Eliten der Nation nur noch danach gehen, wo sie am besten ausgebildet werden, ist ein Beleg dafür: In den Köpfen der gebildeten Jugend gibt es keine Mauer mehr. Da die Skandale im Osten – Korruption, Betrug, Organisierte Kriminalität – denen im Westen verdammt ähneln, ist die Vermutung erlaubt, dass dort zusammengewachsen ist, was zusammengehört.
    So gesehen wäre es also ein beruhigendes Zeichen von Normalität, wenn die im Westen über die im Osten und die im Osten über die im Westen klagen. Badener und Württemberger zum Beispiel waren sich über Jahrhunderte nicht freundlich gesinnt, und dennoch leben sie heute friedlich zusammen in einem Bundesland Baden-Württemberg. Ein schlechtes Beispiel?
    Nein, ein gutes. Die Frage, wie es dem vereinten Deutschland geht, hat sich nämlich dann erledigt, wenn die Antwort mal lautet: Es geht so. Mal besser, mal schlechter.
    So weit sind wir noch lange nicht,
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