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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell
Autoren: Maria Barbal
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letzte von uns ins Bett zu gehen, betete sie noch den Rosenkranz. Doch so fromm sie auch war, ich bin mir sicher, daß sie noch nicht einmal bis zum fünften Ave Maria kam, denn bestimmt hatte sie bis dahin längst der Schlaf überwältigt, wie einen kleinen Vogel, der reglos in der Falle sitzt.
    Natürlich liebte sie uns alle, aber das zeigte sie so gut wie nie. Für solche Sachen hatte sie keine Zeit, sagte sie, da gab es doch viel Wichtigeres zu tun. Mußestunden kannte sie nicht, denn sie war davon überzeugt, daß ihr so etwas nicht zustand, und als sie ihr im Alter schließlich doch zukamen, zerrannen sie ihr Tag für Tag zwischen den Händen. Ich glaube, sie wollte lieber sterben, als sich zu Lebzeiten auszuruhen.
    Und Arbeit gab es ja auch genug: das Vieh, das Land und mindestens sieben bis acht Leute um den Tisch. Alle halfen wir mit, aber Mutter legte sich am meisten ins Zeug, damit wir vorankamen. Die Frau ist die Seele des Hauses, sagte sie.
    Vater war umgänglicher, manchmal gab er allerdings ziemlich grobe Sachen von sich, solche, die einem etwas wehtaten, wenn man später noch mal in Ruhe darüber nachdachte. Doch dann war er oft auch sehr lieb, setzte uns auf seine Knie und erzählte uns eine Geschichte, besonders im Winter, wenn wir alle am Feuer saßen, nach dem Abendessen, das aus Kohl und Kartoffeln bestand und manchmal auch aus einer Scheibe gebratenen Speck. Ich erinnere mich noch, wie wir über die Geschichte von dem Alten aus Montenar lachen mußten, der eines Nachts aus einem Haus eine Unterhose mitgenommen hatte. Die lag in der Nähe des Kaminfeuers zum Trocknen über einer Bank, und auf die setzte sich der Mann, weil er sich aufwärmen wollte, und als er dann wieder aufstand, blieb die Unterhose an seinen Kleidern hängen. Erst auf halbem Weg nach Hause, inmitten dieser eiskalten Nacht, entdeckte er plötzlich, wie sie unter seiner Jacke hervorlugte und um sein Hinterteil schlotterte. Ganz erschrocken blieb er da stehen, denn er wußte nicht, was schlimmer war, für einen Dieb gehalten zu werden oder in der eisigen Kälte wie ein Vogel zu erstarren, wenn er den ganzen Weg noch einmal zurückgehen müßte.
    Doch auf dem Land sind es gewöhnlich nicht die Männer, die am schlechtesten dran sind, und während Vater uns mit seinen Geschichten verzauberte, stopfte Mutter im Schein des Feuers noch ein paar Strümpfe, die immer wieder an derselben Stelle durchlöchert waren.
    Die Tante war stolz und selbstsicher, dabei ebenso sparsam und fleißig wie die Mutter. Sie hatte aber ein recht aufbrausendes Wesen und war es gewohnt, alles zu bestimmen, konnte sie doch in ihrem eigenen Haus auch ganz nach Belieben schalten und walten.

W ie ich mich so hinter dem Maultier herstolpern sah, fast im Laufschritt, denn das Tier witterte jemand Fremdes und wollte immer wieder Reißaus nehmen, da hätte ich am liebsten kehrt gemacht, die Beine unter den Arm genommen und ab nach Hause … Meine Augen füllten sich mit Tränen, aber mehr ließ ich nicht zu, denn als ich merkte, daß ich gleich weinen würde, atmete ich tief durch und schluckte die Tränen runter. Die aufrechte Gestalt des Onkels dort oben auf dem Maultier schüchterte mich ein. Nicht einen Seufzer sollte er von mir hören. Immer wieder sagte ich mir, daß sie mir ja einen Gefallen taten, und ich half meinen Leuten daheim. Jeden Tag ein Stück Brot weniger und … Der Onkel hatte mir mein Bündel abgenommen und es vor sich auf den Hals des Tieres gelegt. Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen, und bislang hatte er kaum ein Wort mit mir gesprochen. Ich traute mich deshalb nicht, ihm zu sagen, daß ich mir in meinen Leinenschuhen die Füße wundgelaufen hatte. Die Schuhe waren neu, und eigentlich gehörten sie Maria. Sie hatte sie mir geschenkt, als ich von daheim fortging, um mir eine Freude zu machen, doch die Schuhe waren mir zu groß. Ich spürte das Scheuern an den Füßen wie ein unglaublich schmerzhaftes Jucken. So schnell wie möglich wollte ich in Pallarès ankommen, damit diese Qual endlich ein Ende hätte. Der Schwanz des Maultiers schaukelte im Takt hin und her. Sobald sich Fliegen darauf setzten, warf es den Schwanz in die Höhe, wirbelte ihn einmal herum und ließ ihn dann wieder fallen, und so ging es in einem fort. Als ich schon nicht mehr daran glaubte, daß wir jemals ankommen würden, hörte ich den Onkel sagen: Wir sind da. Zum ersten Mal an diesem Tag stieg eine große Freude in mir auf, und daran merkte ich, wie schwer mir die
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