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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten
Autoren: Kristin Feireiss
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füllig, die Wangen sind von einem weißgrau gesprenkelten Vollbart eingerahmt. Seine Augen blicken ruhig und wohlwollend in die Kamera. Mein Urgroßvater strahlt Güte und Gelassenheit aus, und er ist stolz auf seine Töchter, von denen der Jüngsten eine besondere Auszeichnung zuteilwird.
    Als Kaiser Franz Josef I. von Österreich mit seiner Gemahlin Elisabeth, die als Sissi in die Welt- wie in die deutsche Kinogeschichte eingegangen ist, Würzburg besucht, widerfährt seinem Namensvetter eine hohe Ehre. Da die Bocksbeutel der »Sektkellerei Franz Josef Lang«, ein nur in Franken hergestellter Weißwein, dessen Kennzeichen eine bauchige Flasche ist, als die besten der Gegend gelten, darf mein Urgroßvater das Kaiserpaar mit einem besonders edlen Tropfen beschenken. Als die Kutsche Kaiser Franz Josefs und seiner Gemahlin unter dem Jubel der Würzburger Bevölkerung den Residenzplatz erreicht, hält der Zug an. Jula, jung, schön und einer Ohnmacht nahe, geht in einem weißen Organzakleid, einen Blütenkranz im Haar und eine Weinflasche in der Hand, auf die offene Kutsche zu und überreicht der hohen Frau den Bocksbeutel. Die Kaiserin bedankt sich huldvoll und schenkt meiner Großmutter zur Erinnerung an diesen für sie unvergesslichen Augenblick eine kleine Brosche. Sie besteht aus drei zierlichen Goldstäben. Auf jedem glänzt ein kleiner Edelstein: ein Saphir, ein Smaragd und ein Rubin. Die Brosche besitze ich noch heute.
    Dieses Ereignis zählt zu den Höhepunkten der Jungmädchenjahre meiner Großmutter Jula, zu denen auch die gemeinsamen archäologischen Exkursionen ins fränkische Umland gehören: Vater und Tochter forschen nach Hünengräbern und übergeben ihre Funde später den Dorfmuseen der Gegend.
    Als junges Mädchen hat Jula auch gemalt, Öl auf Leinwand. Ich besitze eines ihrer Bilder, ein Stillleben. Es stellt eine Glasschale mit Rosen dar. Wassertropfen perlen von ihnen ab. Jedes einzelne Blatt scheint zum Greifen nah zu sein. Jula hat die Blüten in dem Moment festgehalten, in dem sie noch einmal ihre volle Kraft und Schönheit entfalten, ehe sie verwelken. Auf einem anderen Ölbild liegt eine junge Frau in einem fließenden, griechisch anmutenden Gewand am Ufer eines Sees. Sie lässt eine Hand ins Wasser gleiten, als wollte sie nach der Seerose greifen, die vor ihr schwimmt.
    In dieser Zeit ist Jula oft allein und wohl auch einsam, was sich noch verstärkt, als ihre ältere Schwester Therese im Alter von neunzehn Jahren an einer unheilbaren Krankheit stirbt. Vielleicht ist das eine Erklärung für ihre elegisch wirkenden Gemälde. Die drei großen Schwestern sind aus dem Haus, der Vater tagsüber in der Sektkellerei. Ein geselliges oder gar gesellschaftliches Leben findet im Haus meines Urgroßvaters nach dem Tod seiner Frau nicht mehr statt. Er hat nie wieder geheiratet.
    Als Jula ins heiratsfähige Alter kommt, sucht ihr Vater einen standesgemäßen Ehemann für sie aus, so wie das in gutbürgerlichen Familien zu Beginn des vorletzten Jahrhunderts üblich ist. Jula ist nicht nur eine gute Partie, sie ist schön, und sie ist stolz. Ihre Zurückhaltung, die sie bis ins hohe Alter nicht ablegt und die ihr immer wieder als Unnahbarkeit ausgelegt wird, entspringt jedoch mehr ihrer Verletzlichkeit als einer vermeintlichen Arroganz.
    Es dauert nicht lange, da erklärt Franz Josef seiner Tochter, dass er den passenden Ehemann für sie gefunden habe. Dass sie diesen Mann nie wird lieben können, fühlt Jula in dem Moment, in dem sie ihm zum ersten Mal begegnet. Sie weiß es, aber sie spricht es nicht aus. Es kommt ihr gar nicht in den Sinn, sich gegen den Wunsch des Vaters aufzulehnen. An dem Tag, an dem der Termin der offiziellen Verlobung festgelegt werden soll, erkrankt Jula. Sie bekommt hohes Fieber, behält keine Nahrung mehr bei sich und verliert täglich an Gewicht. Die konsultierten Ärzte sprechen von Nervenfieber, aber erklären können sie sich die Symptome nicht. Selber ratlos, raten sie dem Vater, seine Tochter in ein Krankenhaus einzuweisen. Mein Urgroßvater lehnt den Rat der Ärzte ab und das Consilium die Verantwortung.
    Als Franz Josef an diesem Abend wieder am Krankenbett seiner Tochter sitzt, die in einen unruhigen Fieberschlaf gefallen ist, sucht er in ihren Zügen nach einer Erklärung. Je länger er sie betrachtet, desto deutlicher wird ihm bewusst, dass es etwas ganz anderes sein muss, was seine Jüngste krank macht, so krank, dass die Ärzte um ihr Leben fürchten. Zum ersten Mal
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