Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten
Autoren: Kristin Feireiss
Vom Netzwerk:
schon alles, was für ihn dazugehört: einen Pferdefuhrpark, eine Reederei am Main und fast hundert Angestellte. Später kauft er sich bei der Frankfurter Zeitung ein und eröffnet eine Annahmestelle der Süddeutschen Klassenlotterie. Was für seine Kunden gut ist, ist auch gut für ihn. Also spielt er von nun an im Lotto, obwohl er im Gegensatz zu meinem Vater keine Spielernatur ist. Josef Carl Neckermann betrachtet es eher als Test der von ihm angebotenen Dienstleistung. Er gewinnt die damals unglaubliche Summe von 100 000 Mark.
    Großvater Neckermann ist nicht nur Unternehmer, er ist auch gläubiger Katholik, was eingedenk des Umstands, dass die göttliche Vorsehung wohl auch bei der Brautwahl ihre Hand im Spiel hatte, nicht verwunderlich ist. Während der Unruhen 1918 sorgt er sich um die Besitztümer der Kirche, mit dem Ergebnis, dass er in Würzburg das Kloster der Franziskaner nebst Kirche kauft. Er will damit einer eventuellen Beschlagnahmung des klerikalen Vermögens zuvorkommen. Da er seiner Frau in einer Kirche zum ersten Mal begegnet ist, ist dies nicht nur eine generöse, sondern auch eine symbolträchtige Tat.
    Meine Großeltern haben im anderen die große Liebe gefunden. Sie dauert ihr gemeinsames Leben, und sie überlebt den Tod meines Großvaters. Eine solche Liebe wünscht meine Großmutter auch mir. »Du wirst einen guten Ehemann finden. Ich weiß es. Ich bete jeden Abend dafür«, sagt sie eines Tages zu mir, so als wäre das zwischen ihr und dem lieben Gott bereits beschlossene Sache. Damals bin ich zwölf Jahre alt. Ich habe im Laufe meines Lebens vier Ehemänner, die man alle als gute Menschen bezeichnen kann, und dennoch habe ich es bei dreien von ihnen nicht allzu lange ausgehalten. Vielleicht hat meine Großmutter mit ihren diesbezüglichen Gebeten doch des Guten ein wenig zu viel getan.
    Großvater Neckermann stirbt vier Tage vor Heiligabend, am 20. Dezember 1928. Es ist ein besonders kalter Winter. Über Nacht ist Neuschnee gefallen. Er geht wie jeden Morgen vor der Arbeit noch in die Kirche. An diesem Tag hat er einen anstrengenden geschäftlichen Termin. Da er sich nicht wohl fühlt, geht mein Großvater danach nicht mehr in die Firma, sondern direkt nach Hause. Als er unerwartet in der Tür steht, betrachtet ihn Jula voller Sorge. Er kommt sonst nie so früh nach Hause. Es ist zwölf Uhr. Josef Carl tritt auf seine Frau zu und sagt ruhig: »Ich muss jetzt sterben.« In ihren Armen schließt er seine Augen für immer.
    Das Gedenkbildchen, das aus Anlass seines Todes gedruckt wird, zeigt meinen Großvater als eleganten Herrn in der Mode seiner Zeit gekleidet, mit Stehkragen, breiter, gemusterter Fliege und einer Rose am Revers. Der Spruch, den meine Großmutter für ihren Mann ausgesucht hat, passt zu seiner strengen, verschlossenen Miene: »Gekämpft, gerungen, vom Tode bezwungen.« Tröstlich klingt das nicht, eher wie eine verlorene Schlacht. Dieser Sinnspruch auf dem Gedenkbildchen meines Großvaters macht aber auch die Maxime deutlich, welche die Familie Neckermann seit Generationen prägt: Leben heißt kämpfen.
    Als ihr Mann stirbt, ist Jula Neckermann Ende vierzig. Sie hat drei unmündige Kinder und ist Inhaberin einer Kohlengroßhandlung. Auch wenn sie und ihr Mann über geschäftliche Dinge gesprochen haben und sie vom ersten Tag der Ehe an Vollmacht über alle Konten besitzt, im Unternehmen mitgearbeitet hat sie bis dahin nicht. Jula ist in den sogenannten besten Jahren und eine attraktive, stattliche Frau. Dickes, störrisches Pferdehaar, das kaum zu bändigen ist, türmt sich auf ihrem Kopf. Einen Meter achtzig groß, überragt sie mit ihrer schlanken, hohen Gestalt ihre Umgebung. Am Todestag ihres Mannes tauscht meine Großmutter ihre modisch elegante Garderobe gegen das schlichte Schwarz der Witwenkleidung. Auch für sie gilt: Leben heißt kämpfen, und sie weiß, dass das Wohl der Familie nun allein von ihr abhängt.
    Nach dem Ende des Trauerjahrs stellen sich die ersten Verehrer ein, die der Witwe Neckermann in jeder Weise beistehen wollen und um ihre Hand anhalten. Es sind durchaus ernst zu nehmende und wohlhabende Bewerber darunter. Beim Wühlen in der Fotokiste meiner Großmutter, einer mit Stoff bezogenen, ausrangierten Pralinenschachtel mit rosa Rosen darauf, entdecke ich ein Foto von einer Frühlingswiese mit einem Tisch, an dem meine Großmutter, meine Mutter und ein stattlicher Herr mit Vatermörderkragen, gestreifter Weste und Geheimratsecken sitzen. Ein wenig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher