Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten
Autoren: Kristin Feireiss
Vom Netzwerk:
ähnelt er meinem Großvater. Er ist es aber nicht. Der Herr auf dem Foto ist einer von denen, die es sich in den Kopf gesetzt haben, Jula Neckermann noch einmal zum Altar zu führen.
    Ich will wissen, warum sie nie wieder geheiratet hat. Meine Großmutter muss keinen Augenblick nachdenken, bevor sie mir antwortet: »Ich habe nicht geglaubt, dass ich noch einmal so lieben kann. Weniger wollte ich nicht.« Und sie fügt pragmatisch, wie sie ist, hinzu: »Wenn es meinen Kindern an etwas gefehlt hätte, wenn ich ihnen keine gute Ausbildung hätte ermöglichen können, dann, und nur dann, hätte ich einen Heiratsantrag angenommen. Vielleicht sogar den des Herrn auf dem Foto.« Es ist nicht dazu gekommen.
    Beim Tod meines Großvaters Neckermann ist sein ältester Sohn Josef sechzehn Jahre alt. Er ist ein gelehriger Schüler seines Vaters, der auf dem Höhepunkt der Bewunderung des Sohnes stirbt. Die Wertvorstellungen des Vaters nimmt der junge Josef begierig in sich auf, ohne sie in Frage zu stellen. Der Wille zum Erfolg, die Leistung als Messlatte, das Streben nach beruflicher wie gesellschaftlicher Anerkennung sind für Josef Werte, die ihm sein Vater vorgelebt hat. Josef berichtet in seinen Erinnerungen davon, wie stolz er ist, bei Spaziergängen mit seinem Vater im Hofgarten »mitzuerleben, wie Offiziere, hohe Beamte und die Inhaber der großen Geschäfte ihn zuvorkommend grüßten«. Wie sein Vater möchte auch er einen eigenen Platz im Würzburger Dom haben, ein, wie er feststellt, »Privileg, das nur wenige Bürger genossen«.
    Obwohl ihm seine Mutter nach dem plötzlichen Tod des Vaters zurät, das Abitur zu machen und zu studieren, geht Josef 1929 mit der Mittleren Reife von der Schule ab. Er glaubt es seinem Vater schuldig zu sein, der ihm das Versprechen abgenommen hat, so schnell wie möglich die Firma zu übernehmen. Dieser Schritt meines Pflegevaters, der für seine persönliche wie berufliche Entwicklung von weitreichender Bedeutung sein wird, beginnt mit einem Selbstbetrug. Es ist nicht der Wille des Vaters, sondern sein eigener.
    Der Vater erwartet zwar von ihm, im Notfall sofort mit dem Reiten aufzuhören und sich auf die Schule zu konzentrieren, damit der Sohn so schnell wie möglich einen Beruf erlernen und die Firma übernehmen kann. Von Schulabbruch hat er nichts gesagt. Gerade der verfrühte Abschied von der ohnedies ungeliebten Schule, den Josef später immer wieder vor sich selber zu Unrecht mit diesem Versprechen begründet und überdies glaubt, vor anderen rechtfertigen zu müssen, ist eine der Wurzeln seines Minderwertigkeitsgefühls, das er nie ganz überwinden wird.
    Josefs Verlangen nach Anerkennung ist nicht zu stillen, denn der, von dem er sie ersehnt, sein Vater, ist tot. Zu Lebzeiten hat er sie ihm schroff verweigert. Seine mahnenden Worte nach Josefs erstem Erfolg auf einem Reitturnier müssen für den glücklichen Sieger niederschmetternd gewesen sein. Noch nach Jahrzehnten kann sich mein Pflegevater an den Wortlaut erinnern: »Du hast zwar gewonnen, aber da hast du nur Glück gehabt, dass die anderen nicht gesehen haben, was du alles falsch gemacht hast.« Und der Vater fügt hinzu: »Das wollte ich dir nur sagen, damit du nicht denkst, du hättest etwas Außergewöhnliches geleistet.« ** Josef aber will Außergewöhnliches leisten. Selbst noch als alter Mann wird er bedauern, dass ihn sein Vater nicht auf der Höhe seines Erfolgs erlebt hat.
    Was Josef bei seinem Vater beklagt, dass ihm »das akademische Milieu, das in unserer Universitätsstadt in vieler Hinsicht den Ton angab« verschlossen bleibt, darunter leidet er später selbst. Sein unstillbares, fast kindliches Verlangen nach Bewunderung wird durch den von ihm als Makel empfundenen Umstand, kein Akademiker zu sein, noch verstärkt. Es ist nicht die Sorge, nicht wissenschaftlich arbeiten zu können, unter der Josef leidet, es ist der Ausschluss von karrierefördernden Kontakten, den er fürchtet. In seinen Erinnerungen findet er dafür dramatische Worte: »Das Gespenst der Deklassierung stand wie eine schwarze Wand vor mir.« Statt weiter die Schulbank zu drücken, wird Josef Lehrling bei der Hypo Bank. Einen Rhetorik- und Rezitationskurs bei Paul Scarla gibt er, kaum dass er ihn begonnen hat, wieder auf. Auch der Versuch, sein Abitur im Abendstudium nachzuholen, scheitert. Doch Josef hat Ambitionen. »Aufgrund fehlender Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten« kehrt er der elterlichen Kohlengroßhandlung schon bald den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher