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Wie ein Hauch von Zauberblüten

Wie ein Hauch von Zauberblüten

Titel: Wie ein Hauch von Zauberblüten
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fuhren eine ganze Strecke schweigsam über die breite Teerstraße, die von Windhoek fast schnurgerade nach Norden führt und bei Otjivarongo östlich abbiegt, um das riesige Minengebiet von Tsumeb zu erschließen, und dann nach Nordwesten abknickt, als die einzige große Verbindung zum Ovamboland und dessen Hauptstadt Ondangua. Als eine der Lebensadern von Südwest, hineingezogen in Busch, Steppe und Berge, ein in der Hitze flimmerndes Band aus Asphalt, überwindet sie schier grenzenlose Entfernungen, führt in tiefe Einsamkeit und abweisende Natur, steinige Kargheit, dornige Einöde und gnadenlose Sonne.
    Luba hatte noch einen langen Blick auf das Krankenhaus und das Schwesternhaus geworfen, ehe sie zu Pater Mooslachner in den uralten Landrover stieg und schweigend das Kissen annahm, das er ihr hinhielt.
    »Du kriegst sonst einen Pavianhintern, bis du angekommen bist«, sagte er. »Genauso geschwollen und rot.«
    War das die Ausdrucksweise eines Paters? Stumm nahm sie Abschied von Windhoek, das ihre eigentliche Heimat geworden war. Hier war sie zur Schule gegangen, hier hatte sie ihren Beruf als Medizinisch-Technische Assistentin und Laborantin erlernt, hier hatte sie ihre Freundinnen, hier war sie glücklich gewesen und hatte wenig davon gemerkt, daß sie als ›Coloured‹ ein Mensch zwischen den Farben war: Die Schwarzen erkannten sie nicht als ihresgleichen an, und die Weißen betrachteten sie als Frucht eines verwerflichen Fehltritts. In Windhoek konnte man leben. Man konnte in den Cafés auf der Kaiserstraße sitzen, man konnte tanzen gehen, Kinos und Konzerte besuchen; auch Theatergastspiele fanden statt, es gab Klubs mit Tennisplätzen und Schwimmbädern, und Ausflugbusse fuhren zum Daan Vil Joen Wildschutzgebiet ins Khomas-Hochland, wo man Impalas, Kudus, Wildebeester, Zebras, Elande, Gemsböcke und Klippspringer beobachten konnte. Wenn man anderswo durch das Land fuhr, bekam man manchmal stundenlang kein Tier zu Gesicht – bis auf die Rinder der Farmer.
    Wie schön war Windhoek, und wie weit entfernt würde es sein, wenn sie, ab heute abend, in Outjo leben mußte. Natürlich gab es Busse, auch führte die Eisenbahn bis Outjo, aber es waren immerhin 316 Kilometer bis zu den Freunden, bis zu den vertrauten Stätten ihrer Jugend. 316 Kilometer durch das dornige Damaraland. Ihre Versetzung war wie eine Verbannung – obwohl die Beamten der Gesundheitsbehörde ihr immer wieder gesagt hatten, es sei eine Auszeichnung für sie, bei Dr. Oppermann arbeiten zu dürfen. Warum ließ man sie nicht in der chirurgischen Abteilung des Windhoeker Krankenhauses? Warum lobte man sie fort ins ferne Outjo? Was hatte sie falsch gemacht? War es die kräftige Ohrfeige, die der junge Arzt Dr. Vanwyck einstecken mußte, als er ihr in einer Ecke des Labors an den Busen gefaßt hatte? Oder war es die Schwester der Privatstation, die aus dem Medikamentenschrank Morphiumampullen stahl, weil ihr Freund süchtig war? Luba hatte sie dabei überrascht und pflichtgemäß gemeldet. Oder wirkte sich nun aus, daß die Oberschwester sich beschwert hatte, Luba Magdalena habe einen zu aufreizenden Gang? Einen ›tappenden Schritt‹ hatte sie von ihr verlangt, wozu sie nicht fähig und auch nicht willens war. Irgendeinen Grund mußte es wohl haben, daß der Chefarzt sie freigegeben hatte für die Verbannung nach Outjo, für die Strafe, bei einem Dr. Oppermann leben zu müssen.
    Sie fuhren die Kaiserstraße hinunter, und zum letztenmal, so kam es ihr vor, sah sie die neuen hohen Bauten der Banken und das Kaufhaus, die alten spitzgiebeligen Häuser aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, den Park mit dem Kaiserdenkmal, die Kirchen, die modisch gekleideten Menschen auf den Gehsteigen, die bunten Farbtupfer der Hererofrauen mit ihren weiten Röcken und kunstvoll gebundenen Kopftüchern, die großen Schaufenster der Geschäfte – ja, das war ein Leben gewesen, das Freude schenkte. Was würde in Outjo sein? Trostlose Langeweile am Rande der endlosen Buscheinsamkeit.
    »Du kannst ruhig mit mir reden!« sagte Pater Mooslachner, als sie die letzten Häuser von Windhoek hinter sich hatten und nun das weite Land vor ihnen lag.
    »Ich denke, und ich frage mich!« antwortete Luba.
    »Was fragst du dich?«
    »Kann man mich bestrafen, weil ich mich nicht an die Brust fassen lasse?«
    »O je!« Pater Mooslachner schielte zu ihr hinüber. Ihr schmales, herrliches Gesicht war bewegungslos, maskenhaft, eine edle Skulptur, mit braunem Perlmutt überstäubt.
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