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Werke

Werke

Titel: Werke
Autoren: Adalbert Stifter
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nötig sein.«
    »Es ist nur gut,« sagte die Tante, »daß ich schon seit vielen Jahren zur Ausstattung gesammelt habe, und daß nicht jetzt die ganze Gewalt hereinbricht.«
    »So tun gute Mütter immer, und solche, die Mutterstellen gut vertreten,« sagte der Oheim, »und besonders tun es verständige Frauen, wie du eine bist, Gerlint. Ich habe übrigens auch manch ein Ding im Verschlusse, das euch bei diesem Vorkommnisse jetzt sehr zu statten kommen wird.«
    »Daß du nicht unvorbereitet sein wirst, wenn das, was wir wünschen, zu Stande kommt, habe ich mir immer gedacht«, sagte die Tante.
    »Ich bleibe jetzt bei dir in dem Schlosse Biberau,« sprach der Oheim, »wir müssen mit Gerlint sprechen, und einmal fährst du mit mir nach Weiden und nimmst die Dinge in Augenschein, und das Verzeichnis gebe ich dir mit, und, wenn du willst, auch die Gegenstände selber.«
    »Das wird sich finden,« antwortete die Tante, »und mit Gerlint wird leicht zu sprechen sein; denn er muß volle Sicherheit haben.«
    »Er hat volle Sicherheit,« sagte der Oheim, »und wir, meine liebe Schwester Gerlint, werden nun auch doch in die dritte Abteilung unseres Stammes einrücken.«
    »Du hast immer Frevelreden, selbst an einem solchen Tage«, sagte die Tante, und stand auf.
    Er stand auch auf, reichte ihr freundlich und ehrerbietig den Arm, und führte sie aus dem Saale in ihr Gemach.
    Als der Abend gekommen war, sagte die Tante zu Gerlint, daß sie und der Oheim sie morgen um eilf Uhr feierlich in dem großen Saale empfangen werden.
    »Ich bin zu eurem Willen«, sagte Gerlint.
    Und als es am andern Tage eilf Uhr war, ging Gerlint in festlichem Schmucke in den großen Saal. Die Tante und der Oheim, gekleidet wie bei der Werbung Dietwins, saßen auf ihren Stühlen. Gerlint ging zu ihnen und küßte jedem die Hand, dann blieb sie vor ihnen stehen.
    Da sprach die Tante: »Gerlint, mein liebes Kind, ich habe dich hieher bescheiden lassen. Wir werden dich um etwas fragen, antworte frei und ohne Rücksicht auf irgend ein Ding in dieser Welt als auf dein Herz und dein Gewissen.«
    »Ich werde es tun, wenn die Antwort in meiner Macht liegt«, sprach Gerlint.
    »Sie liegt in deiner Macht«, entgegnete die Tante. »Höre mich an. Dietwin von der Weiden, unser Neffe und dein Vetter, hat bei mir in der Hinsicht, daß ich die Stelle deiner Mutter vertrete, und bei deinem Oheime in der Hinsicht, daß er die Stelle deines Vaters vertritt, feierlich um deine Hand geworben, daß er dir, wie er spricht, ein treuer, rechtschaffener Gatte sei, und daß du ihm eine treue, rechtschaffene Gattin seiest. Wir fragen dich nun: bist du gesonnen, diese Werbung anzunehmen, oder bedingst du dir eine Zeit, in der du die schweren Pflichten des neuen Standes überdenkest, um dann deine Zustimmung oder deine Weigerung anzukündigen?«
    »Du kannst frei handeln, liebe Gerlint,« sagte der Oheim, »überlege, und tue, wie du willst, wir werden deinen Ausspruch in Betracht ziehen.«
    Gerlint antwortete darauf: »Hochverehrte Mutter und Tante, hochverehrter Vater und Oheim, ich kenne Dietwin von der Weiden, euren Neffen und meinen Vetter, ich habe über die Pflichten des Ehestandes reiflich und ernstlich nachgedacht, und sage: ich nehme die Werbung Dietwins von der Weiden an, daß ich ihm mit dem Beistande Gottes eine rechtschaffene und treue Gattin sei, und daß er mir mit dem Beistande Gottes ein rechtschaffener und treuer Gatte sei. Eine Bedenkzeit heische ich nicht, sie wäre eine Lüge.«
    »Und so bist du zu diesem Bündnisse entschlossen?« fragte die Tante.
    »Ich bin dazu entschlossen«, antwortete Gerlint.
    »Also werden wir, dein Oheim und ich, deinen Ausspruch, wie er sagt, in Betracht ziehen, und du bist jetzt aus diesem Saale entlassen.«
    Gerlint küßte der Tante und dem Oheime wieder die Hand, und entfernte sich.
    Am Nachmittage dieses Tages sah man Gerlint mit Augusten zu einer Zeit, in der sie es sonst nie getan hatten, im Garten spazieren gehen, und der Spaziergang dauerte sehr lange.
    Gegen den Abend ging Gerlint zu der Tante in das Wohngemach. Sie blieb vor ihr stehen, und sah auf ihr Angesicht. Die Tante schloß sie in die Arme, und küßte sie auf die Stirne und auf den Mund. Gerlint schlang ihre Arme um den Nacken der Tante, sprach aber nicht.
    Dann ging sie zu dem Oheime.
    Als sie in das Zimmer getreten war, legte sie den Arm um seinen Hals und rief: »Lieber, lieber Oheim!«
    Und er küßte sie sehr herzhaft auf den Mund, und aus seinen Augen
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