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Werke

Werke

Titel: Werke
Autoren: Adalbert Stifter
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vereinigen wir uns wieder.«
    »Möge es bald sein«, sagte die Tante, und geleitete den scheidenden Bruder bis zur Tür.
    Fünf Tage nach diesem Gespräche waren die Geschwister wieder in dem Gemache bei einander, und setzten sich zu demselben Tische.
    Der Oheim sagte: »Nun, Gerlint, rede.« »Rede du zuerst, Bruder«, sagte sie.
    »Also, weil du es wünschest, rede ich«, antwortete der Oheim. »Ich bin mit Gerlint an der großen Eiche gewesen. Da habe ich nun auch endlich gesagt: ›Gerlint, diese Eiche sieht weit in das Land hinein, wir können fast alle Gründe und mitunter auch die Schlösser darin erblicken, deren Bewohner mit uns bekannt sind und in Gastlichkeit leben. Aber auch von dorther wird die Eiche weit und breit gesehen, und, weil sie ein so mächtiger Baum ist, leicht von andern unterschieden. Und darum wird mancher, der an dich denkt, auf diese Eiche schauen, und doppelt an dich denken. Wann wird uns denn unsere liebe Nichte einmal mit einem recht artigen, schönen, tüchtigen Gemahle erfreuen?‹ Sie aber schlang den Arm um mich, und küßte mich mit Heftigkeit und rief: ›Oheim, wünschet mich nicht fort, sondern lasset mich mit euch leben, wie ich lebe, hin und hin, und redet nicht mehr von solchen Dingen.‹ Ich antwortete darauf: ›Wenn du nicht selber sehr gern gehest, wünschen wir dich nicht fort, Gerlint, wir wünschen dich in alle Zukunft sehr in unserer Nähe und in traulichem Umgange mit uns, und ich werde von dieser Sache nicht mehr reden.‹ Darauf sagte sie nichts, wir schlugen den Heimweg ein, und da wir in die Nähe des Schlosses kamen, sprach sie von Bäumen und Gesträuchen und von solchen Dingen. Das ist nun mein Bericht, liebe Schwester, jetzt bringe du auch den deinen.«
    »Nun, mein guter Bruder,« sagte die Schwester, »ich habe mit Dietwin geredet. Da er wieder in dem Saale war, ging ich hinein. Er schritt mir entgegen, und wollte mich zu einem Sitze führen; ich lehnte es aber ab, und wir betrachteten die Bilder. Du kannst wohl denken, geliebter Bruder, daß ich nicht ungehörig gesprochen habe; als wir aber deine und meine Eltern und die Großeltern und die Urgroßeltern und deren Eltern angeschaut hatten, redete ich von dem Glücke der Familie, die so geschlossen fortgeht, und das Ihrige hin und hin auf liebe Glieder forterben kann. Und da sagte ich auch, daß es uns freuen wird, wenn er sich einmal eine holde Gattin wählt. Er antwortete sehr schnell: ›Tante, Tante, Tante, diese Puppen, nie, nie, nie. Ich werde zu keiner Puppe herabsteigen, nein, niemals, und ich bitte dich, Tante, rede nicht davon, ich bitte dich, rede nicht davon.‹ Ich erwiderte: ›Nun, ich rede nicht davon.‹ Und wir gingen an ein Fenster und sahen auf die Landschaft, und verließen bald darauf den Saal. Und so ist es, wie ich sage.«
    »Und was sagst du nun weiter, Gerlint?« fragte der Oheim.
    »Was ich weiter sage, lieber Bruder, will ich dir offenbaren«, antwortete die Tante. »Ich habe in der letzten Zeit her immer an das gedacht, was sich jetzt ereignet. Du weißt, daß ich um Erwin Trauer angelegt habe, und die trage ich lebenslang. Es ist seit seinem Lebensende kein anderes Kleid auf meinen Körper gekommen als ein schwarzes oder ein graues, und so wird es bleiben. Eine Frau aber, welche Trauer trägt, schließt keine Ehe. Es haben sich mir ja Männer genähert, darunter waren edle und gute, und du weißt, wie ich jedes Werben abgelehnt habe. Ich bin noch nicht in den Jahren, in denen eine Ehe zu den Seltenheiten gehört; aber ich denke nicht daran. Und mit Dietwin wäre es gar vom Übel. Wenn auch viele Verbindungen, bei denen das Alter der Frau größer ist als das des Mannes, glücklich ablaufen, so ist doch etwas nicht ganz Natürliches in der Sache. Dietwin, wie ich sein Wesen kenne, würde mit mir nicht glücklich. Zudem erscheint der Welt eine solche Verbindung stets lächerlich, ob mit Recht, untersuche ich nicht; aber ich mag nicht unserem Stamme eine wenn auch törichte Lächerlichkeit anhängen, wie ich keinem der Mitglieder desselben irgend eine Unbill zufügen möchte. Das sind meine Gedanken, Bruder, über diese Sache.«
    »Ich erkenne an, was du sprichst,« sagte der Oheim, »und werde nun auch dir, wie du mir getan, offenbaren, was ich von meiner Seite glaube. Es kommt nicht selten vor, daß Männer in meinen Jahren sich noch verehelichen, es geschieht öfter als bei Frauen, und meistens wählen sie auch junge Mädchen. Und solche Verbindungen sind auch öfter
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