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Werke

Werke

Titel: Werke
Autoren: Adalbert Stifter
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ruhig an, und schüttelte später kaum merklich das Haupt. Ich redete nie wieder von dergleichen Dingen. Mir ist, als habe sie einen Wunsch über die Möglichkeit der Erreichung hinaus. Sonst geht sie strenge ihren Geschäften nach, du weißt, wie sie ihre Zeit verwendet, in der sie schreibt, in der wir lesen, in der sie ihren Mädchen die Anweisungen gibt, in der sie nach ihren Blumen sieht, in der sie sich dir und den Angelegenheiten des Gutes hingibt. Selten kommen Nebendinge, daß sie zu einer ungewöhnlichen Zeit lustwandelt, oder, was öfter geschieht, in den Saal geht und das Bild des Oheims betrachtet. Am widrigsten scheinen ihr größere Besuche, die kommen, oder wenn wir solche machen müssen. Das, meine hochverehrte Base, ist alles, was ich weiß.«
    »Wir müssen nun in Geduld warten,« sagte die Tante, »was noch wird; sie geradezu fragen, wäre ein Fehler.«
    »Tue es nicht, Tante, ich bitte dich, tue es nicht«, sagte Auguste.
    »Ich tue es nicht,« antwortete die Tante, »lassen wir die Sache, und stellen wir sie Gott anheim. Wenn ihr unser Beistand nötig sein sollte, wird er nicht fehlen, und du wirst ihr immer eine Freundin sein.«
    »Du wirst ihr am besten beistehen, Tante,« sagte Auguste, »alle werden ihr beistehen, und ich bin ihre Freundin und ihre Schwester, wie ihre Seele und ihre Liebe zu mir es verdient.«
    »So pflege deines Amtes, du guter Anwalt,« sprach die Tante, »und lasse dich die Zeit nicht gereuen, die du in meinem Hause lebst.«
    »Sie ist die schönste meines Daseins«, antwortete Auguste.
    »Ich glaube es dir, mein Kind,« sagte die Tante, »jetzt gehe zu deinen Beschäftigungen, von denen ich dich abgehalten habe.«
    Beide erhoben sich. Auguste küßte die Hand der Tante, die Tante küßte sie auf die Stirne.
    Einen Monat nach diesem Tage kamen der Oheim und die Tante in dem Gemache der letzteren zu einer Beratung zusammen.
    »Lieber Bruder,« sagte die Tante, »es muß doch einmal von dem geredet werden, wovon geredet werden muß.«
    »So rede, liebe Gerlint,« antwortete der Oheim, »wovon, wie du meinst, geredet werden muß.«
    »Mein herzlieber Bruder Dietwin,« sagte die Tante, »mein lieber Bruder, es ist sehr seltsam und sonderbar; aber es ist nicht unerhört; allein es ist auch nicht gewöhnlich, und ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Ich meine, Gerlint trage eine heimliche Liebe in dem Herzen, und zwar zu dir, mein Bruder.«
    »Aber, Gerlint, Gerlint,« antwortete der Oheim, »das wären ja krause Dinge, die da zusammenträfen. Es ist ja fast unglaublich. Hast du denn auch recht bedacht, was du sagst, liebe Schwester? Gerlint, das beginnende, blühende Leben, und ich, der den Jahren zugeht, wo man nicht sich, sondern den Sohn oder die Tochter vermählt. Liebe Schwester, sage, wie wäre denn das möglich?«
    »Es ist eine Verirrung der Natur,« sagte die Schwester, »und es ist nicht gewöhnlich, aber es kommt dennoch vor. Gerlint ist jetzt in den Jahren, wo das Herz das Bedürfnis fühlt, die Stütze des Mannes zu suchen, aber ihr Herz ist zu stolz, sich einem Manne gefangen zu geben, der nicht höher steht als sie selbst. Dich verehrt es, und es fällt ihm leicht, sich dir zu unterwerfen. Die eine Liebe, die dir als dem Oheim und zweiten Vater gebührt, besitzest du von jeher; so, in ihrer Hilflosigkeit, gibt sie dir auch noch die andere, halb aus Furcht, ein anderer könnte sie ihr rauben. Es ist eine Verirrung, aber sie kommt zuweilen vor, und bei Gerlint, fürchte ich, ist sie da.«
    »Aber woraus erkennst du denn, liebe Schwester, daß sie da ist«, fragte der Oheim.
    »So höre mich,« sagte die Tante, »denke an den Brief vor zwei Jahren. Ich bin in der Aufschrift nur die hochverehrte, geliebte Tante, du bist der herzliebe Oheim, in der Unterschrift ist sie die mich liebende und verehrende und mir dankende Gerlint, dir ist sie die in Liebe ergebene Nichte Gerlint. Im Briefe bittet sie den Himmel, daß er dein liebes Haupt segne, und daß er dir gebe, was dir lieb ist. Mir verspricht sie nur, jedes Opfer bringen zu wollen, das mir zur Freude gereichen kann. Zudem sagt sie, daß sie in die Erkenntnis deiner Güte immer mehr hinein wachse, und dir mehr dankt, als sie danken konnte, da sie noch unvernünftig war. Ich habe damals ohne Ahnung schon den Unterschied hervorgehoben, und ich glaube, daß schon damals etwas in ihr war, dem ähnlich, was jetzt in ihr ist. Dann kam sie hieher. Wie sie dir anhing, weißt du, wie sie sich freute, wenn wir uns auf den
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