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Wer viel fragt

Wer viel fragt

Titel: Wer viel fragt
Autoren: Michael Z. Lewin
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etwas schuldete, weil ich dafür gesorgt hatte,
     daß er den Fall wiederbekam.
    Miller war nicht schwer
     ausfindig zu machen. Es gibt niemanden, der seine Anwesenheit deutlicher
     kundtut als ein Mann, dem man einen großen Fall weggenommen hat, der
     aber glaubt, es könne eine ganz leise Hoffnung bestehen, ihn
     wiederzubekommen. Ich war seine Hoffnung. Wirklich rührend, und ich
     konnte ihn immer noch zusätzlich damit unter Druck setzen, daß
     ich von seinen Autodiebstählen als jugendlicher wußte.
    Gartland überließ
     mich ihm nur widerwillig. Und sein Widerwille wuchs, als er herausfand, daß
     ich allein mit Miller reden wollte. Aber zu guter Letzt scheuchten wir die
     überflüssigen Uniformen weg und hatten einen freundschaftlichen
     Schwatz.
    »Wo?« fragte ich
     ihn.
    »Die Fingerabdrücke
     deiner Ausländerin paßten zu einer Leiche in New York.«
    Ich nickte, als hätte
     ich das bereits gewußt. Er griff nach einem Blatt Papier.
    »Eine bis dahin nicht
     identifizierte weibliche Leiche, die im Central Park in New York entdeckt
     worden war. Am 23.November 1954. Eine Weiße. Alter zwischen zwanzig
     und dreißig. Eins sechzig. Braunes Haar. Haselnußfarbene
     Augen.
    Seit einigen Tagen tot. Schädelfraktur
     und Verstümmelungen.
    Sie wurde wahrscheinlich k.
     o. geschlagen, erwürgt und dann zwischen Taille und Knien in Streifen
     geschnitten.«
    Diese Botschaft entsetzte und
     schockierte mich. Ich wiegte mich auf meinem Stuhl hin und her.
    »New York hat einen
     kurzen Vermerk mitgeschickt. Die Fingerabdrücke der Leiche seien nie
     vom FBI überprüft worden - dort werden die Fingerabdrücke
     der Ausländer archiviert-, weil es keinen Grund zu der Annahme gab,
     die Frau sei Ausländerin gewesen. Nach dem Fundort und dem Zustand
     der Toten glaubte man, es habe sich um eine Hure gehandelt, die irgendein
     Wahnsinniger zerstückelt hatte. Da niemand nach ihr suchte, habe man
     den Fall ungelöst, zu den Akten gelegt.«
    Ich nickte grimmig. Jeden
     Augenblick werden irgendwo auf der Welt irgendwelche Leute getötet.
     Es macht einem nichts aus, weil man nichts darüber weiß. Dieser
     Mord vor sechzehn Jahren machte mir furchtbar viel aus. Ich wußte
     Dinge darüber, Dinge, die andere Leute nicht wußten. Wie zum
     Beispiel, warum sie getötet wurde, wer sie gewesen war und warum sie
     zu diesem speziellen Zeitpunkt auf diese spezielle Art und Weise getötet
     worden war.
    »Al, New York will
     wissen, wie wir auf Annie Lombard gekommen sind. Und das Justizministerium
     ebenfalls.«
    »Alle wollen es wissen,
     wenn ich den Blick in deinen Augen richtig deute.«
    »Ich kann nicht dagegen
     an, Al. Du weißt, was das für mich bedeuten könnte. Du weißt
     es wahrscheinlich besser als irgend jemand sonst.«
    Ich wünschte, ich hätte
     ihn in diesem Augenblick zum Schweigen bringen können. Ich wußte
     durchaus, was es für ihn bedeutete. Aber ich wünschte, daß
     ich 1954 hätte da sein und es verhindern können, denn es kann
     nicht besonders schön gewesen sein. Ich wünschte, ich könnte
     dafür sorgen, daß die Milliarden Menschen, die jeden Tag
     herumgeschubst werden, sich das nicht mehr gefallen lassen müssen.
     Ich wünschte, ich wäre nicht unwichtig für jeden außer
     mir, und ich wünschte, ich würde nicht eines Tages sterben.
    Ich sagte: »Ja, ich weiß.
     Ich habe mir gerade überlegt, wie wir die Sache angehen. Es gibt
     Leute, die ich nicht verletzen möchte.«
    »Dieses Mädchen,
     Annie Lombard, wurde auf die schrecklichste Art und Weise verletzt, Al.«
    Diese Platitüde machte
     mich maßlos wütend. Wer zum Teufel wußte das besser als
     ich? Wer wußte besser Bescheid über die Fotos des Mädchens
     in den fortschreitenden Stadien der Schwangerschaft, und wer wußte
     besser über ihre Tochter Bescheid?
    »Zieh jetzt hier nicht
     die Bullenmasche ab, Jerry. Tu's nicht.
    Du wirst die Lorbeeren für
     diese Sache ernten, aber es geht auf meine Weise oder gar nicht. Die Sache
     schmort jetzt seit sechzehn Jahren, und bei Gott, wenn du nicht aufpaßt,
     kann sie noch mal sechzehn Jahre schmoren.«
    Als ich das sagte, meinte ich
     es wirklich, aber ich brauchte nicht lange, bis mir all die Unterlagen und
     Akten wieder einfielen, die ich rumliegen hatte, ganz zu schweigen von
     meinem Notizbuch. So aufbereitet, konnte sogar Gartland sich genug
     zusammenreimen.
    Miller spürte meinen Gefühlsaufruhr,
     aber er hatte auch seine eigene Situation im Auge. »Es ist schwer.
    
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