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Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt
Autoren: Michael Wildenhain
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konnten mit den Waffen auch hantieren.
    Und während vor der Tafel Maren Schubert von Karl dem Großen redete, sah ich mich wieder wie so oft in einer dunklen Sackgasse, in die ich mich geflüchtet hatte, hinten am toten Ende kauern.
    Weil ich, am Ende meiner Kraft, an irgendeiner Tordurchfahrt falsch abgebogen war, begannen die Verfolger mich langsam einzukreisen. Es waren ungeschlachte Kerle, deren Gesichter ich kaum erkannte, die aber in den Händen Gegenstände hielten. Nur meine Hände waren leer und kamen mir zerbrechlich vor. Denn ich war, obwohl ich ahnte, dass es dort keinen Ausweg gab, auf diesen Hinterhof gelaufen, um mich vor ihnen zu verstecken. Und stand auf einmal den Schemen, die mich in der Dunkelheit umstellten, gegenüber. In meinem Rücken spürte ich die Steine einer viel zu hohen Mauer.
    Während die Verfolger lächelnd näher kamen – nur dieses Lächeln konnte ich erkennen –, fuhren ihre Fahrradketten singend durch die Luft.
    Und weil mir der Mut fehlte, mich zu entscheiden, konnte ich mich weder wehren noch auf den Boden werfen. Ich stand nur da und wartete auf den ersten Schlag.

2
    Wir hatten uns verabredet und waren nach der letzten Stunde rasch durch die Turnhalle, den Keller, dann durch einen Seitenausgang auf den zweiten Hof entwischt, der weder für die Pausen noch zum Sport benutzt wurde. Es standen dort nur alte Turngeräte, die nach und nach verrosteten, und ein großes Fass mit Sand zum Streuen.
    Während die Brüder vor dem Tor zum großen Schulhof warteten, dass Sürel endlich käme, hockten wir zwischen den Büschen und überlegten, was wir tun sollten oder nicht. Einige rauchten, andere tranken Cola oder rissen Blätter von den Zweigen.
    »Sie sind«, sagte Kai, »viel gefährlicher als jeder andere auf der Schule, den wir kennen.«
    Währenddessen bohrte Lisa mit einem Stück Glas in weicher Erde. »Und sie haben es auf Sürel abgesehen.«
    »Auf beide!«, meinte Franco, dessen Mutter Spanierin war. »Auf beide!«
    Er unterstrich das, was er sagte, indem er mit den Händen durch die Luft fuhr. »Auf Ayfer und auf Sürel. Ayfer, was sagst du?«
    Ayfer war diejenige, die zu allem etwas sagte, aber eben nicht nur irgendetwas, sondern meistens, worauf dann alle hörten. Ayfer war, obwohl das dumm klingt, unser Boss. Keiner hätte sagen können, wie sie dazu wurde. Doch jeder konnte spüren, dass es so sein musste. Das war auch der Grund, weshalb ich Ayfer mochte. Ich, den man manchmal übersah, der selten etwas beizutragen hatte, weil ihm alles immer erst viel zu spät einfiel.
    Wenn die Bravo einen Starschnitt auch von ganz normalen Leuten angeboten hätte, hätte ich mir Ayfer heimlich übers Bett gehängt. Doch ein Starschnitt ist ein Starschnitt: Ayfer ist kein Star, nur Ayfer. Hin und wieder folgte ich ihr, ohne dass sie’s merkte. Dennoch blieb die Stelle der Tapete, dort, wo Ayfer hängen sollte, leer.
    Immer noch grub Lisa mit dem bunten Glasstück in der Erde. Alle warteten.
    Ayfer sagte diesmal überhaupt nichts, sondern hielt nur ihre Arme vor der Brust verschränkt. Manchmal fuhr ein Schauder wie etwas Elektrisches durch ihren schlanken Körper. Und als Kai sie streicheln wollte, schüttelte sie seine Hand ab und presste ihre Arme enger um die Brüste.
    Erst als Sürel etwas sagte, ein, zwei Satzfetzen auf Türkisch – etwas, was die beiden sonst, wenn wir uns gemeinsam trafen, niemals taten –, schaute Ayfer auf und sagte: »Ist okay. Geht schon wieder.«
    Sie ließ die Arme langsam sinken, grinste sogar, schmal und wacklig, nahm, was allen seltsam vorkam, einen Zug von einer Zigarette.
    »Sie sind gefährlich«, wiederholte Lisa. Und fuhr mit ihrer Glasscherbe noch mal in die aufgegrabene Erde. »Gefährlich. Alle beide. Böse. Und vor allen Dingen: stark.«
    »Mag sein«, sagte Ayfer, während wir schon vorab nickten, weil sie endlich wieder sprach. »Aber Freunde stehn einander doch in solchen Fällen bei, oder?«
    Wir nickten wieder, heftiger als vorher.
    Als wir aus dem Hinterhof auf die helle Straße traten, hatten wir beschlossen abzuwarten, was die Brüder in den nächsten Tagen machen würden. Wie sie sich Sürel oder uns allen gegenüber morgen Früh verhielten. Vielleicht wollten sie nur zeigen, dass sie hart waren, tough und cool. Und das wusste ja jetzt jeder in der Klasse.
    Ayfer hatte vorgeschlagen, dass wir uns an der alten Schule der Brüder nach ihnen erkundigen sollten.
    »Oder«, haspelte sie, »gucken, wo die beide wohnen.« Manchmal machte
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