Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt
Autoren: Michael Wildenhain
Vom Netzwerk:
die Luft viel kälter als zwischen den Häusern. Kai setzte sich auf einen Stein und sagte: »Es ist sinnlos. Wir haben sie verloren. Mir gefällt die Gegend nicht!«
    Lisa sog nachdenklich am Daumen und nuschelte: »Wir waren unvorsichtig. Nur weil die beiden einer alten Schachtel über die Straße helfen, heißt das noch nix!«
    Franco sagte: »Stimmt.«
    Aber er sagte es nicht laut, weil Franco nicht als Feigling gelten wollte. Denn das war seine größte Angst: dass irgendwer ihn feige nannte. Er lief dann im Gesicht rot an, ballte die Fäuste, stampfte auf, und nichts geschah. Oft musste er auch heulen, nur wegen seiner Wut.
    Jetzt schabte er mit einem Schuh Rost von dem Drahtzaun ab, an dem ich neben Ayfer lehnte.
    Und Ayfer sagte: »Geht doch! Haut ab! Ich suche weiter.«
    Sie war so brüsk, weil ihr das meist geholfen hatte, bei uns etwas durchzusetzen.
    Doch diesmal grinste Kai nur schüchtern und murmelte dann: »Tu ich auch.«
    Und Lisa meinte leise: »Können wir alles morgen machen. Wenn du gehst, Kai, komm ich mit dir mit.«
    Während sie sich abwandten und mit gebeugten Köpfen zögernd auf dem schmalen Weg davontrotteten, als müssten sie noch einmal überlegen, sah Ayfer Franco an. Aber gerade als er etwas sagen wollte, fragte sie mich, ob ich wenigstens bliebe. Sie fragte nicht wirklich, sie sagte: »Du bleibst doch, oder?«
    Weil ich Ayfer immer, trotz aller Furcht, gefolgt wäre, nickte ich und erwiderte: »Doch, ja … ich glaube … doch, ich denke … doch ja, ich denke … eigentlich ja, schon.«
    Und deshalb sagte Franco, obwohl ihm unbehaglich war: »Na gut. Dann gehn wir weiter.«

5
    Die Brüder traten vorsichtig aus einer Laube, schlossen ab, wir duckten uns noch tiefer in die Büsche. Sie hatten eine Taschenlampe, wir hatten angstschweißnasse Finger. Die Laube war die einzige, die direkt am Kanal stand.
    Erst hatten wir das Licht gesehen, ein helles Fenster. Dann hatten wir uns langsam, vom Ufer her, herangeschlichen. Franco und Ayfer hatten auch durch eine Scheibe schauen wollen. Doch ich hatte, denn diesmal war Reden wichtiger als Zittern, gesagt, wir sollten lieber warten, bis die beiden fort wären.
    Ich hatte plötzlich stottern müssen. »Das … das kann doch nicht mehr … nicht mehr lange dauern! Nie … nie … niemand wohnt in einer Laube, wo das Dach den Regen durchlässt.«
    »Woher weißt du das mit dem Dach?«, hatte Franco mich gefragt.
    »Sieht man doch. Obendrauf die Plastikplane. Ist nicht dicht das Dach, niemals!«
    »Wir warten«, hatte Ayfer gesagt. »Wir haben ja die ganze Nacht lang Zeit.«
    Endlich tappten die Brüder durchs Gras. Der Schein der Taschenlampe tänzelte. Man hörte ihre Schritte auf dem Kiesweg.
    Erst als man nichts mehr hören konnte, schlichen wir uns gebückt zu einem Fenster an der Rückwand, vor dem es keine Läden gab. Wir horchten noch einige Minuten, dann drückte Ayfer ihr Gesicht vorsichtig an die dreckverschmierte Scheibe.
    Und während Franco murmelte: »Was willst du denn da drinne sehn? Komm, lass uns abhaun nach Hause!«, stützte sich Ayfer auf das Fensterbrett. Franco winkte noch einmal ohne Überzeugung mit dem Kopf. Als er sich umdrehte und Ayfer sich von der Fensterbank erhob, schwangen die Fensterflügel unvermittelt leise quietschend auf.
    »Wir gehen da lieber nicht rein, oder?«, sagte ich.
    »Doch«, antwortete Ayfer. »Das ist die Gelegenheit!« Sie wisperte, als müsse sie sich selbst erst überwinden. »Niemand kommt so spät noch hierher zurück.« Sie lächelte. »Ist ja wohl logisch, oder?«
    Wir fanden die Hefte sofort. Es waren nicht nur einige, es war ein ganzer Stapel. Und während Ayfer sich, als sie das erste Deckblatt sah, hastig abwandte und deshalb gegen die Spinnweben stieß, die in der Ecke von der Decke hingen, ließ Franco sich nicht stören, sondern blätterte eifrig in den Heften herum. Die Angst, die Laube zu betreten, hatte er längst vergessen.
    Wir kannten Fotos dieser Sorte, hatten so was auch schon mal angeschaut, doch heimlich, nicht, wenn Mädchen mit uns zusammen waren. Wir wussten von den Fotos, wie Männer es mit Frauen machen. Wir wussten, wer auf wem liegt und was die Fotze ist.
    Wir hätten nicht gedacht, dass man Frauen auch einen Unterarm bis in den Bauch reinschieben kann. Man konnte es, das sah man in den Heften. Franco begann zu kichern. Mir wurde unbehaglich. Er blätterte. Ayfer hielt ihre Arme wieder vor der Brust verschränkt.
    Und während ich nur noch mit halbem Auge nach den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher