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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will
Autoren: Leena Letholainen
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Garderobe gefunden. Zufällig war ein Kollege im Studio, der hat einen Krankenwagen gerufen und uns alarmiert.«
    »Ich hab die Sendung gesehen. Ist schon ein Streifenwagen unterwegs?«
    »Saastamoinen und Akkila, die Spurensicherung hab ich auch gleich alarmiert. Das Opfer soll eine bekannte Prostituierte sein. Mein lieber Schwan!«
    Ich zog den Schlafanzug wieder aus und suchte meine Kleider zusammen, ohne das Gespräch zu unterbrechen. Ich versprach Puupponen, in zehn Minuten im Studio zu sein. Dabei spürte ich förmlich, wie das Adrenalin durch meinen Körper strömte.
    »Was ist denn jetzt los?«, fragte Antti, als er sah, dass ich die Jeans anzog.
    »Arbeit.« Ich riss den Blazer vom Kleiderbügel, er war ein bisschen zerknautscht, aber das spielte keine Rolle. Zum Schminken hatte ich keine Zeit, ich bürstete mir nur rasch die Haare.
    »Musst du wirklich um diese Zeit noch weg?«
    »Ich schau mir die Sache an. Vielleicht dauert es nicht lange.«
    Die Windschutzscheibe war beschlagen, ich stellte die Heizung auf die höchste Stufe. Bei der Toten handelte es sich offensichtlich um Lulu Nightingale, eine der bekanntesten Sexarbeiterinnen Finnlands. Die Wahl ihres Künstlernamens begründete sie damit, dass sie ihrer Ansicht nach einen ähnlichen Samariterdienst leistete wie Florence Nightingale im Krimkrieg. Ihr Etablissement im Helsinkier Stadtteil Punavuori hieß »Die frivole Nachtigall«, es stand seit langem unter Beobachtung. Die Frau bewegte sich ständig am Rande der Legalität; soweit ich mich erinnerte, hatte sie auch schon eine Bewährungsstrafe kassiert, weil sie Assistentinnen beschäftigt hatte, was ihr als Kuppelei ausgelegt wurde. Damals hatte sie versucht, einen Einfrauenkrieg gegen den Kuppeleiparagraphen zu führen. Manche betrachteten Lulu Nightingale als Heldin der sexuellen Befreiung, andere sahen in ihr die Verkörperung des moralischen Verfalls, weil sie meinten, es gehöre sich nicht für eine Prostituierte, stolz auf ihren Beruf zu sein.
    Die Straßen hatten sich geleert, und die meisten Ampeln waren abgeschaltet. So brauchte ich nicht einmal eine Viertelstunde für die Fahrt. Das Fernsehstudio befand sich im Erdgeschoss eines weiß verputzten Industriegebäudes, in der oberen Etage waren ein Textilgroßhandel und ein Softwareunternehmen untergebracht. Vor dem Haus standen zwei Streifenwagen und eine Ambulanz. Die Tür war verschlossen. Ich drückte auf die Klingel, doch es rührte sich nichts. Noch einmal hielt ich den Finger auf den Knopf. Mein Atem dampfte in der klaren Märznacht, der Mond stand als schmale Sichel am Himmel. Gerade als ich Mira Saastamoinen anrufen wollte, öffnete ihr Partner Akkila die Tür.
    »Kallio, grüß dich. Was machst du denn schon hier?«
    »Ich hab’s im Fernsehen gesehen. Puupponen kommt auch. Wie sieht’s aus?«
    »Schau es dir selbst an.« Akkila führte mich hinein. »Hier herrscht absolutes Chaos, eine von den Frauen ist total hysterisch, und Nordström von der Zentralkripo versucht mit Gewalt, die Ermittlungen an sich zu reißen. Mira zankt sich gerade mit ihm herum. Rasilainen und Airaksinen sind mit den anderen im Aufnahmestudio.«
    Es kam mir vor, als wäre alles viel zu schnell passiert: Vor einer halben Stunde noch hatte ich auf dem Sofa gesessen und die Studiodekoration betrachtet, und nun stand ich mittendrin. Die Kameras liefen nicht mehr, aber die Scheinwerfer strahlten noch. Die Menschen, die ich vorhin im Kleinformat auf dem Bildschirm gesehen hatte, waren plötzlich Wesen aus Fleisch und Blut. Nun musste ich die Rolle des Showmasters übernehmen, und bei mir würde es garantiert nicht locker zugehen.
    »Kriminalkommissarin Maria Kallio von der Espooer Polizei, guten Abend. Wir bitten Sie, vorläufig hier im Studio zu bleiben. Wir werden Ihre Personalien aufnehmen und Sie später für weitere Befragungen kontaktieren.«
    Ilari Länsimies, der auf der Lehne von Mauri Hytönens Sessel hockte, stand auf und trat zu mir. Meine erste Reaktion war Verwunderung: Er war klein, kaum eins siebzig. Er trug einen gut sitzenden dunkelblauen Anzug, hatte die Krawatte gelockert und den obersten Hemdknopf geöffnet, sodass die dichte, dunkle Brustbehaarung zu sehen war. Er gab mir die Hand, ohne sich vorzustellen, offenbar hielt er es für selbstverständlich, dass ich ihn erkannte. Sein Händedruck war fest, seine hellblauen Augen bohrten sich in meinen Blick. »Kriminalkommissarin Maria Kallio«, wiederholte er meinen Namen nach amerikanischem
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