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Wer sagt, dass Kinder gluecklich machen

Wer sagt, dass Kinder gluecklich machen

Titel: Wer sagt, dass Kinder gluecklich machen
Autoren: Eva Gerberding , Evelyn Holst
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und mit beiden Beinen im Leben steht. Es geht ja nicht nur darum, dass man jemanden hat, der auf das Kind aufpasst und es ins Bett bringt, sondern darum, dass das eine Person macht, die dann auch über Jahre in der Familie bleibt und eine richtige Bezugsperson für das Kind ist! (…) Muttersein ist einfach toll!« [Ref10]
    Ja, das ist es auch!

    Brigitte, 49, ein Sohn, 19
    »Es war eine super Schwangerschaft, ich habe mich die ganze Zeit topfit gefühlt. Drei Monate vor dem Stichtag hatte ich einen kleinen Auffahrunfall auf dem Parkplatz eines Kaufhauses, in dem ich die Borte für den Stubenwagen kaufen wollte. Abends hatte ich Gäste und wie immer aufwendig gekocht, als ich plötzlich rasende Rückenschmerzen bekam. Da ich eine harte Nuss bin, hielt ich zunächst durch, auf der Toilette platzte mir dann die Fruchtblase, was ich allerdings nicht erkannte. ›Ich geh mal kurz ins Krankenhaus, zum Dessert bin ich wieder da‹, sagte ich, weil ich keine Ahnung hatte, was auf mich zukommen würde. Im Krankenhaus bekam ich Wehenhemmer, die nichts mehr hemmen konnten, mein Magen wurde ausgepumpt, dann OP, dann Kaiserschnitt. Als ich aufwachte, fragte ich meinen Mann: ›Alles okay?‹ – ›Es ist ein Junge und er lebt‹, sagte er und zeigte mir ein Polaroidfoto von unserem Baby, das mich zu Tode erschreckte. Wie ein winziger, nackter Vogel, der aus dem Nest gefallen war, sah mein Kind aus, gespickt mit Schläuchen, gruselig. So klein war unser Moritz, dass er nur in Puppenkleidung passte. Ein kleiner Kämpfer. Sieben Wochen hing er an der Beatmungsmaschine, überstand Hirnblutungen, Infektionen, acht Stunden mindestens saß ich täglich an seinem Inkubator, streckte meine Hand in die kleine Öffnung und streichelte das kleine, kranke Bündel, das dort drinnen ums Überleben kämpfte.
    Als Moritz tausendfünfhundert Gramm wog, durfte ich ihn endlich im Arm halten. Da hab ich richtig gespürt, wie sich sein kleines Herz beruhigte, als er auf meinem warmen Bauch lag. Und als die Schläuche schließlich weg waren, konnte ich zum ersten Mal sein Gesicht sehen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Doch als wir ihn nach drei Monaten endlich nach Hause holen durften, fing der Stress erst richtig an, denn der Monitor, den er tragen musste, um einen Herzstillstand zu verhindern, löste ständig Fehlalarm aus. Außerdem konnte ich nicht stillen, weil Moritz einfach nicht genug Saugkraft hatte.

    Mir war klar, dass bei einem Frühchen alles etwas länger dauert, Moritz war da natürlich keine Ausnahme. Wenn ich ihn, was ich anfangs tat, mit den gleichaltrigen Babys meiner Freundinnen verglich, war ich vorsichtig optimistisch, obwohl Moritz erst mit achtzehn Monaten zu laufen anfing. Aber dann wurde die Kluft immer größer. Im Kindergarten biss er die anderen Kinder. Zum Glück fand ich eine Tagesmutter, die mit ihm klarkam. Mein Moritz war einfach nicht gruppenkompatibel, das ist leider bis heute so geblieben. Er war und ist ein Einzelgänger, der viel durchmachen musste, denn seine Frühgeburt hatte Folgeschäden. Er musste mehrfach an den Augen operiert werden, hatte ADHS, das Zappelphilipp-Syndrom, mit sieben fing er mit Ritalin an. Das nimmt er bis heute. Und wie oft seine Lungenflügel kollabierten und ich ihm mit einer umwickelten Zahnbürste eine Vibrationsmassage geben musste, kann ich nicht mehr zählen. Zum Glück bin ich Krankenschwester und weiß Bescheid. In den nächsten Jahren jagte dann eine Therapie die andere: Musiktherapie, Reittherapie, Ergotherapie. Und immer diese Schuldgefühle: Bin ich schuld? Hätte ich gleich nach dem Auffahrunfall ins Krankenhaus gehen sollen?
    Dass meine Ehe gescheitert ist, liegt zu mindestens fünfzig Prozent an der Situation mit Moritz. Weil ich aus lauter Sorge einfach keine Kraft mehr für meinen Exmann hatte. Auch meine Tochter Leonie, die vier Jahre später auf die Welt kam, ist dadurch oft zu kurz gekommen. Während der Schwangerschaft mit ihr war meine Gebärmutter vorsorglich zugenäht, aber sie kam ganz leicht auf die Welt. Zwei Stunden später ging ich mit ihr durchs Krankenhaus und sagte zu den Schwestern: ›Ich hab ganz fürchterlichen Hunger!‹ Dann die Diagnose: Gebärmutterhalskrebs! Lieber Gott, jetzt reicht’s mal, dachte ich, aber zum Glück ist alles gut gegangen.
    Meine Mutterschaft war also immer zweischneidig – ein Kind war schwierig, mit dem anderen war alles leicht. Leonie war immer sehr beliebt, Moritz wurde leider immer gemobbt. Was anfangs daran
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