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Wer Mit Schuld Beladen Ist

Wer Mit Schuld Beladen Ist

Titel: Wer Mit Schuld Beladen Ist
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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sich aber zu bereuen weigerte. Seit letztem November wartete sie auf die Reaktion des Bischofs, doch ihr Privatleben, das eher einem lodernden Verkehrsunfall glich, hatte sie ständig abgelenkt. Jetzt stürzte sie sich auf etwas anderes, das Aberforth erwähnt hatte. »Sie?«
    »Reverend Elizabeth de Groot. Sie ist aus St. James in Schuylerville versetzt worden. Da Sie morgen schon zurückfahren wollen, werde ich ihr Bescheid geben, dass sie sich am Dienstag zum Dienst melden kann.«
    »Bereitet sie sich auf die Weihen vor?« Was Clares Chancen erhöhen würde, dass man die Frau nach einem Jahr zu einer anderen Gemeinde weiterschob.
    »Aber nein. Sie ist Berufsdiakonin. Sie wurde vor über zehn Jahren ordiniert, nachdem sie als Freiwillige, Mitglied des Gemeindevorstands und Kirchenälteste dabei geholfen hatte, St. Stephen zu der Kirche zu machen, die sie heute ist.«
    Clare übersetzte das als alt genug, um deine Mutter zu sein, und hat alles schon mal erlebt. »Wie ist sie denn so?«
    »Eine elegante Dame. Würdevoll. Sie hat einen überzeugenden Sinn für Tradition.«
    In Clares Übersetzung hieß das: so hochkirchlich, dass der Erzbischof von Canterbury im Vergleich zu ihr wirkt wie ein Gitarre klampfender Liedermacher. Sie seufzte. Es war nicht so, als könnte sie irgendetwas dagegen tun. Als Reaktion auf ihre Verfehlungen war das sogar erstaunlich mild. »Das wäre dann der erste Punkt«, meinte sie. »Wie lautet der zweite?«
    Father Aberforth beschäftigte sich angelegentlich mit seinem Tee. »Ich wollte nach Ihnen sehen, um festzustellen, ob Sie reden müssen. Da ich mich ja nun in der Position Ihres Beichtvaters wiedergefunden habe.«
    Clare lächelte schwach. »Sie können keine Beichte abnehmen.« Trotz des Ehrentitels »Father« war der Diakon nicht berechtigt, als Gottes Mittler aufzutreten, wenn Menschen ihre schmerzlichsten Geheimnisse enthüllten. Dennoch glaubte er vermutlich inbrünstiger an dieses Ritual als Clare, die Sünden auf wöchentlicher Basis vergab.
    »Es wäre nicht gut für Sie, wenn Sie nicht darauf vorbereitet wären, zu bereuen und Ihre Lebensweise zu ändern«, sagte er. Sie konnte spüren, wie sich ihre Wangen röteten. »Ja, ich nehme an, dieser Rückzug hat mehr mit Ihrer Situation zu tun als mit irgendeiner nachweihnachtlichen Erschöpfung. Wissen Sie mittlerweile, was Sie mit Ihrem verheirateten Mann anfangen sollen?« Er reckte den Hals und versuchte, auf den Dachboden zu spähen.
    »Er ist doch nicht hier bei Ihnen, oder?«
    Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Nein. Nein, er ist nicht hier.«
    Seine schwarzen Augen durchbohrten sie. »Ich bin nicht hier, um über Sie zu richten, Mädchen. Glauben Sie denn, Sie seien das erste Schaf, das die Herde verlässt, weil grünere Auen locken?« Er griff nach seiner Tasse. »Immerhin zeigen Sie einige Originalität. Die meisten Priester, die in Ehebruch dilettieren, setzen auf den Chorleiter oder die Ehegatten der Kirchenältesten. Der städtische Polizeichef – das ist neu. Nicht besonders klug, aber neu.«
    »Nur keine falsche Scheu. Sagen Sie mir einfach, was Sie denken.«
    »Offene Worte sind genau das, was Sie im Augenblick brauchen, Ms. Fergusson.«
    Er hatte recht, und sie wusste es. Der Diakon war ein seltsamer Vertrauter – er hielt nichts von weiblichen Priestern, er war förmlich bis zur Exzentrik und, am allerschlimmsten, er berichtete direkt ihrem Chef. Aber etwas an seiner trockenen, unsentimentalen Art hatte es ihr in den letzten zwei Monaten leichtgemacht, ihm alles zu erzählen. Davon, wie einsam sie gewesen war, eine Fremde an einem unbekannten Ort, vor sich ein Meer neugieriger Mienen, die darauf warteten, dass sie elend versagte oder aber über das Wasser lief. Davon, wie sie sich mit der einzigen Person in der Stadt angefreundet hatte, die in ihr einfach Clare Fergusson sah und nicht einen Haufen Vermutungen in einem Priesterkragen. Davon, wie sie den schmalen, hell erleuchteten Pfad gemeinsam mit Russ Van Alstyne immer weiter hinter sich gelassen hatte, während sie plauderten und lachten und die Anzeichen ignorierten, die laut schrien: ACHTUNG! UNBEFESTIGTES GELÄNDE und SIE BETRETEN GEFÄHRLICHES GEBIET und KEINEN SCHRITT WEITER! SIE SIND GEMEINT! und dann überrascht war – überrascht –, als sie sich umschaute und feststellte, dass sie sich total verirrt hatte.
    Etwas von dieser Wildnis musste sich in ihrer Miene spiegeln, denn Aberforth beugte sich unbeholfen über seine
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