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Wer Mit Schuld Beladen Ist

Wer Mit Schuld Beladen Ist

Titel: Wer Mit Schuld Beladen Ist
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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schien ziemlich« – geriatrisch – »nett, als ich ihn eingeführt habe. Erfahren. Sehr erfahren.«
    »Er war ein guter Freund Ihres Vorgängers.«
    Der verstorbene, vielbetrauerte Father Hames, der seine Priesterstelle in St. Albans angetreten hatte, als Betty Grable noch Pin-up-Girl gewesen war.
    »Ich bin davon ausgegangen, dass er und Ihre Gemeinde gut miteinander auskommen würden.«
    Sie hatte nach den Ereignissen der vergangenen Nacht geglaubt, dass ihre Reserven an Kummer und Angst erschöpft waren, doch bei seinen Worten spürte sie erneut Furcht in sich aufsteigen. »Sind Sie … will der Bischof mich suspendieren?«
    Father Aberforth sah sie an. Einst war er jünger und fülliger gewesen, und sein Gesicht legte sich in trügerisch schwere Falten, doch seine schwarzen Augen verrieten, dass er nach wie vor aus Ecken und Kanten bestand.
    »Macht Ihnen diese Vorstellung zu schaffen?«
    »Ja!« Sie war überrascht, wie sehr. In den vergangenen vier Monaten hatte sie um ein Zeichen gebetet, dass sie das Richtige tat, dass Gott sie lieber als Gemeindepriesterin denn als Sozialarbeiterin oder Kaplanin oder Helikopterpilotin sah – ihr alter, einfacher Beruf. Gott hatte sich in dieser Angelegenheit gründlich ausgeschwiegen. Vielleicht sprach Er jetzt zu ihr, in Form des Aufruhrs in ihren Eingeweiden.
    Father Aberforth nickte. »Das dachte ich mir. Die Antwort lautet nein, der Bischof suspendiert Sie nicht von Ihren Pflichten.«
    Sie atmete aus, und mit dem Atem entwich das letzte bisschen Energie aus ihrem Körper. Clare ließ ihren Rucksack zu Boden fallen und warf sich auf das nächste Sofa, ohne ihren Parka auszuziehen. Sie hörte das Klicken des Brenners, als Aberforth das Gas aufdrehte, und das Zischen, als das Streichholz den Ring in Flammen setzte. »Ich weiß, dass Sie eine Kaffeefanatikerin sind, aber hier muss doch irgendwo Tee sein«, meinte er.
    »In der Speisekammer. In einer der Tupperdosen.« Sie lauschte Aberforth beim Herumkramen, dem Klappern und Klirren von Bechern und Löffeln und der Zuckerdose, und sie konnte ihre Großmutter Fergusson hören, die sie schalt, aufzustehen und die Gastgeberin zu spielen, aber dieses eine Mal konnte sie sich nicht dazu aufraffen, das Richtige zu tun. Sie kauerte dumpf da, während ihre Hände über die weichen Bezüge der Sofakissen glitten.
    Der Wasserkessel schrillte und verstummte. »Trinken Sie Ihren Tee genauso wie Ihren Kaffee? Lächerlich süß?«
    »Meine Güte«, sagte sie, »dass Sie sich daran erinnern!« Sie wartete reglos, während er zu ihr herüberkam und den Becher vor sie auf den Tisch stellte. Er ließ sich in einen der an Eames erinnernden Ledersessel gegenüber dem Sofa sinken. Dieser war nicht für Aberforth’ storchenähnliche eins achtundneunzig konstruiert, und so kämpfte er einen Moment um eine bequeme Haltung, ehe er sich eines der Kelimkissen vom Nachbarsessel schnappte und unter seine Knie stopfte.
    »Idiotische Möbel«, bemerkte er. »Wie sind Sie an diese Hütte gekommen?«
    »Sie gehört einem Mitglied meiner Gemeinde«, sagte sie.
    »Er nutzt sie nur noch selten, seit seine Frau vor einigen Jahren gestorben ist.«
    Father Aberforth grunzte. »Trinken Sie Ihren Tee. Sie sehen halb tot aus.«
    Sie griff mit so wenig Aufwand wie möglich nach dem heißen Becher und schaffte es, ein paar Schlucke zu trinken.
    »Was machen Sie hier, Father Aberforth? Soweit ich weiß, wollten wir uns erst wieder zum Plaudern treffen, nachdem ich hier oben mit mir ins Reine gekommen bin.«
    »Mein Besuch dient zwei Zwecken.«
    Clare lächelte in sich hinein. Wer außer Willard Aberforth redete so?
    »Zum einen hat der Bischof einen neuen Diakon für Sie ernannt.«
    Sie barg den warmen Becher in ihren Händen. »Ich brauche keinen Assistenten.«
    »Es ist eine Vollzeitstelle, das Gehalt wird die Diözese übernehmen.«
    Clare sah den alten Mann scharf an. »St. Albans ist weder alt noch wohlhabend genug, um einen Vollzeitdiakon zu rechtfertigen.«
    »Dennoch.«
    Der Groschen fiel. »Ich bekomme einen Babysitter.«
    »Betrachten Sie sie eher als Hilfe, um Sie auf dem rechten Weg zu halten.«
    »Mit Betonung auf rechten Weg.« Ursprünglich war es ihre Segnung einer schwulen Beziehung gewesen, die ihr vor zwei Jahren die Aufmerksamkeit des Bischofs – und die von Aberforth – eingetragen hatte. Sie hatte ihr Gehorsamsgelübde gebrochen und sich über die Haltung des Bischofs zur Homosexualität hinweggesetzt, beides Fehler, die sie eingestand,
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