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Wer Ja sagt, muss sich wirklich trauen

Wer Ja sagt, muss sich wirklich trauen

Titel: Wer Ja sagt, muss sich wirklich trauen
Autoren: Susan Elizabeth Phillips
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geschlossen.
    Lauf!
    Ihre Hand griff nach einem der königsblauen Chorhemden. Sie riss es vom Haken und streifte es über ihre zerzauste Frisur. Der kühle, muffige Stoff rutschte an ihrem Körper herunter. Dann stolperte sie auf die kleine Tür am anderen Ende des Raums zu. Durch die verstaubte Scheibe sah sie einen schmalen, zugewachsenen Pfad, eingeschlossen von Betonmauern. Ihre Hände funktionierten nicht richtig, der Griff ließ sich nicht gleich bewegen, aber schließlich gelang es ihr, die Tür zu öffnen.
    Lucy befand sich auf der Rückseite der Kirche. Frühlingsstürme hatten Abfälle in das Kiesbett am Wegrand geweht: platt gedrückte Saftkartons lagen dort, Zeitungsfetzen, eine ausgeblichene gelbe Kinderschaufel. Sie lief los, blieb mit ihren hohen Absätzen im rissigen Pflaster stecken, hielt inne, als der Weg endete. Überall stand Security. Sie überlegte, was sie als Nächstes tun sollte.
    Sie hatte ihr Sonderbewachungsrecht durch den Secret Service einige Monate zuvor, als ihre Mutter ein Jahr aus dem Amt geschieden war, verloren, Nealy selbst stand aber weiterhin unter Personenschutz. Da Lucy viel Zeit mit ihr verbrachte, war ihr die Abwesenheit ihrer eigenen Leibwächter kaum aufgefallen. Ted hatte private Sicherheitskräfte beauftragt, um das kleine Polizeirevier der Stadt zu unterstützen. Vor den Türen standen Wachen. Der L-förmige Parkplatz war überfüllt mit Fahrzeugen. Überall waren Leute.
    Washington war ihr Zuhause und nicht diese Kleinstadt in Zentraltexas, mit der sie sich von Anfang an so schwer getan hatte, aber sie erinnerte sich, dass die alte Dorfkirche am Rande eines alteingesessenen Wohnviertels lag. Wenn ihre Beine sie über den Weg zu den Hintergärten auf der anderen Seite trugen, könnte sie es schaffen, in einer der Nebenstraßen zu verschwinden, ohne gesehen zu werden.
    Und was dann? Dies hier war keine gut vorbereitete Flucht wie jene von Nealy aus dem Weißen Haus viele Jahre zuvor. Es war gar keine Flucht. Es war eine Unterbrechung. Ein Aussetzen. Sie musste einen Ort finden, an dem sie wieder Atem schöpfen, sich in den Griff bekommen konnte. Ein leeres Kinderspielhaus. Eine versteckte Nische in irgendjemandes Garten. Irgendein Ort, fern von dem Presserummel, fern von ihrem verratenen Bräutigam und ihrer verdutzten Familie. Eine vorübergehende Zuflucht, wo sie sich vor Augen halten konnte, wer sie war und was sie den Menschen schuldig war, die sie aufgenommen hatten.
    O Gott, was hatte sie getan?
    Ein kleiner Tumult auf der anderen Seite der Kirche erregte die Aufmerksamkeit des Wachpersonals. Lucy wartete nicht ab, um zu sehen, was da los war. Hastig umrundete sie das Ende der Mauer, überquerte im Laufschritt eine kleine Straße und kauerte sich dann hinter eine Mülltonne. Ihre Knie zitterten so stark, dass sie sich an der rostigen Tonne, aus der übler Verwesungsgestank drang, abstützen musste. Es gab keine Alarmrufe, Lucy nahm nur aus der Ferne das Geraune der Menge wahr, die sich auf der Tribüne vor der Kirche drängte.
    Sie hörte ein leises Wimmern, wie das Miauen eines Kätzchens, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass es von ihr kam. Schnell stand sie auf, schlich an einer Hecke, die als Hausbegrenzung eines viktorianischen Altbaus diente, entlang. Die Hecke endete an einer schmalen Kopfsteinpflasterstraße. Lucy flitzte auf die andere Seite und in einen fremden Garten, dem alte Bäume Schatten spendeten.
    Sie zog das Chorhemd enger um sich, schlich zum nächsten Garten und weiter zum nächsten, zwischen frisch bepflanzten Rabatten und Gemüsebeeten hindurch, in denen murmelgroße grüne Tomaten wuchsen. Der Geruch von Schmorbraten wehte aus einem offenen Küchenfenster, aus einem anderen drang die Geräuschkulisse einer Fernseh-Gameshow. Bald würde dasselbe Fernsehen die Meldung von Expräsidentin Cornelia Case Joriks unverantwortlicher Tochter bringen. Innerhalb eines Nachmittags hatte die einunddreißigjährige Lucy siebzehn Jahre gutes Benehmen zunichte gemacht. Siebzehn Jahre, in denen sie Mat und Nealy hatte beweisen wollen, dass ihre Adoption kein Fehler war. Was Ted betraf und das, was sie ihm angetan hatte … Sie hätte ihn nicht schlimmer kränken können.
    Ein Hund bellte, ein Baby begann zu weinen. Lucy stolperte über einen Gartenschlauch, kürzte den Weg ab, hastete an einer Schaukel vorbei. Das Hundegebell wurde lauter, gleich darauf sprang eine Promenadenmischung mit rostrotem Fell gegen den Drahtzaun, der das Grundstück von dem des
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