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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf
Autoren: Karin Fossum
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tot. Oder zumindest ohnmächtig. Er glaubte, das alles schon einmal gehört zu haben. Eine Geschichte, die sich wiederholte.
    Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Warum schleppst du eigentlich diesen Koffer mit dir herum? Ihr habt eure Orchesterproben doch wohl nicht mitten im Wald?«
    »Nein«, sagte der Junge und stellte sich so hin, daß er den Koffer zwischen den Füßen hatte; er schien Angst zu haben, der Kasten könnte beschlagnahmt werden. »Das sind nur Sachen, die ich immer bei mir habe. Ich bin gern im Wald.«
    Der Beamte musterte ihn nachdenklich. Der Junge strahlte plötzlich heftigen Trotz aus, aber unter dem Trotz verbarg sich Furcht, etwas schien ihn bis ins Mark verängstigt zu haben. Er rief in Guttebakken an, einem Heim für verhaltensgestörte Jungen, und ließ sich die Leiterin geben. In aller Kürze umriß er die Situation.
    »Halldis Horn? Tot auf ihrer Treppe?«
    Vor Skepsis und Sorge klang ihre Stimme ganz dünn. »Ich kann wirklich nicht sagen, ob er lügt«, erklärte sie. »Sie lügen allesamt, wenn es ihnen gerade paßt, und ab und zu rutscht ihnen auch mal eine Wahrheit heraus. Heute hat er mich schon einmal an der Nase herumgeführt, schließlich hat er offenbar den Bogen mitgenommen, den er nur in Begleitung Erwachsener benutzen darf.«
    »Den Bogen?«
    Gurvin begriff nicht, wovon sie da redete.
    »Hat er keinen Koffer bei sich?«
    Der Beamte warf einen Blick auf den Jungen und auf den Gegenstand, den der zwischen den Beinen hielt.
    »Doch, hat er.«
    Kannick begriff, wovon die Rede war, und preßte seine fetten Waden fester zusammen.
    »Da steckt ein Glasfaserbogen drin mit neun Pfeilen. Er zieht damit durch den Wald und schießt Krähen ab.«
    Sie hörte sich nicht streng an, sondern nur besorgt. Nach diesem Gespräch rief Gurvin noch in der psychiatrischen Klinik Haus Wegweiser an, in der Errki Johrma derzeit lebte. Oder leben sollte, denn es stellte sich heraus, daß er tatsächlich weggelaufen war.
    Gurvin versuchte, die Episode zu bagatellisieren. Die Gerüchte über Errki waren ohnehin schlimm genug. Er erwähnte Halldis nicht. Kannick wurde immer nervöser. Er lugte zur Tür hinüber. Was ist denn da bloß passiert, fragte sich Gurvin. Er kann sie doch um Himmels willen nicht mit einem Pfeil getroffen haben?
    »Immerhin ist Halldis an einem schönen Tag gestorben«, sagte er schließlich und blickte den Jungen aufmunternd an. »Und sie war alt. Von einem solchen Tod träumen wir alle. Wenn wir keine jungen Dachse mehr sind.«
    Kannick Snellingen sagte nichts dazu. Er schüttelte nur stumm den Kopf und blieb, den Koffer zwischen den Beinen, kerzengerade stehen. Die Erwachsenen glaubten immer, sie wüßten alles. Aber bald würde auch dieser Polizist auf andere Gedanken kommen.
    Gurvin fuhr langsam zu Halldis Horns kleinem Hof. Er war lange nicht mein hier oben gewesen, wohl ein ganzes Jahr nicht mehr. Es war, als rotiere in seiner Brust ein zackiger Stein. Jetzt, da er allein im Auto saß, ließ der Gedanke ihm keine Ruhe. Was mochte der Junge gesehen haben?
    Der Junge hatte die zwei Kilometer bis zum Heim unbedingt zu Fuß gehen wollen. Margunn hatte versprochen, ihm entgegenzugehen. Und so, wie Gurvin die Heimleiterin kannte, warteten auf Kannick Saft und Rosinenbrötchen, eine kurze Ermahnung und eine Hand, die ihm durch die Haare fuhr. Alles andere hatte Zeit. Margunn war mehr als klug genug, um zu wissen, was der Junge brauchte. Am Ende war Kannick auch ein wenig ruhiger geworden. Mit tapferer Miene war er losgetrottet.
    Der Subaru kämpfte sich mit dem Eifer eines Terriers den Hang hinauf. In dieser Gegend hatten alle Wagen Allradantrieb, das brauchten sie im winterlichen Schnee und im matschreichen Frühling. Die Hänge waren steil, selbst die trockene, feste Straße, auf der Gurvin jetzt unterwegs war, machte schon Probleme. Er dachte an Errki Johrma. Die Klinik hatte mitteilen können, daß der Bursche einen so prosaischen Fluchtweg wie ein offenes Fenster gewählt hatte. Und dann hatte er also diese Gegend angesteuert, in der alle ihn kannten. Und wieso auch nicht, hier fühlte er sich schließlich zu Hause. Der Junge schien nicht gelogen zu haben. Wie die meisten Leute hier in der Gegend hatte Gurvin ein gespanntes Verhältnis zu Errki, denn über den waren zahlreiche Gerüchte im Umlauf, und diese Gerüchte waren allesamt ebenso häßlich wie der Mann selbst. Auf Errki folgte immer irgendein Unglück. Er war wie ein böses Omen, das Entsetzen und Grauen hervorrief. Erst
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