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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf
Autoren: Karin Fossum
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Kannick sah ihn an. »Aber dann kriegst du ganz viele Fusseln in die Wunde.«
    »Ist mir doch scheißegal. Ich will sie bedecken. Ich rieche die Wunde, wenn ich den Kopf bewege, und den Gestank vertrage ich nicht. Du hast ja auch Klebeband, das nehme ich. Hilf mir!« sagte er und schwenkte den Putzlappen.
    Kannick gab sich alle Mühe. Es war für seine dicken Finger gar nicht so leicht. Er legte den Lappen leicht auf die Wunde und riß mit den Zähnen Stücke vom Klebeband ab. Schließlich saß der Verband fest.
    »Steht dir gut«, kommentierte er.
    »Dann feiern wir noch eine Runde«, sagte Morgan mit belegter Stimme und schnappte sich die Flasche. »Bei Wein, Weib und Gesang wird die Zeit nicht lang.« Er zwinkerte Kannick zu.
    Errki schlief. Morgan sah witzig aus mit dem gelben Lappen auf der Nase. So einen hatte seine Mutter auch gehabt, an den ersten sonnigen Frühlingstagen, fiel Kannick ein, wenn sie sich hinter dem Haus sonnte und sich die Nase nicht verbrennen wollte. Dabei öffnete sie immer die Beine, damit die Sonne wirklich jede Stelle erreichte. Er konnte ein wenig von den dunklen, gekräuselten Haaren sehen. Dort war der Pole gewesen, und so war er entstanden. Die Mutter hatte das zwar nicht offen zugegeben, aber er wußte es trotzdem. Er versuchte, sich an den genauen Augenblick zu erinnern, in dem er es erfahren hatte, aber das gelang ihm nicht. Dann dachte er an Karsten und Philip. Ob die ihn wohl schon suchten. Und wenn sie nun plötzlich hier auftauchten? Vielleicht kamen sie einfach ins Haus gerannt. Ab und zu schaute er verstohlen zu den beiden Männern hinüber. Fragte sich, worüber sie wohl gesprochen hatten. Er begriff nicht ganz, wieso Errki die Geisel war, denn Errki hatte den Revolver, und Morgan schien das nicht weiter zu stören. Er nahm die Flasche, trank einen Schluck und gab sie Morgan zurück. Jetzt brannte die Flüssigkeit nicht mehr in seinem Hals. Er fühlte sich benebelt. Sein Körper war taub und seltsam träge. Er mußte weg hier, ehe er einschlief.
    »Darf ich gehen?« fragte er leise und schielte zu Errki hinüber.
    »Errki entscheidet«, sagte Morgan kurz. »Er ist der Herr hier im Haus, und jetzt schläft er gerade. Du mußt mir solange Gesellschaft leisten. Von einem Mehlkloß wie dir kann ich lange überleben«, nuschelte er.
    Sie waren inzwischen beide ziemlich betrunken. Morgan wußte nicht mehr, was er in diesem Haus machte und welche Pläne er hatte. Das stille Zimmer gefiel ihm, im Verhältnis zu dem grellen Licht draußen war es überraschend dunkel, und Errkis ruhigen Atem drüben beim Schrank hörte er auch gern. Man sollte überhaupt keine Pläne schmieden. Nicht auf die Zeit achten. Einfach nur still dasitzen und die Gedanken schweben lassen. Der fette Junge neben ihm auf dem Boden war ein wenig zusammengesunken. Von draußen war nichts zu hören, keine Vögel, kein einziges Rauschen in den Bäumen. Der Whisky ging zur Neige. Das machte ihm Sorgen. Er dachte vage, daß er in einigen Stunden wieder nüchtern sein würde. Früher oder später würde er seinen schweren, trägen Leib vom Boden heben und etwas unternehmen müssen. Er wußte nicht, was. Er hatte Geld, aber nicht die Kraft, das Haus zu verlassen und einen Fluchtversuch zu unternehmen. Freunde hatte er nicht, abgesehen von dem, der wegen eines Postüberfalls im Knast saß und bald entlassen werden sollte. Er selbst hatte den Wagen gefahren. Sie hatten in letzter Sekunde entkommen können und sich getrennt. Zwei Tage später war der Kumpel verhaftet worden, aufgrund der Videoaufnahmen vom Überfall, die im Fernsehen ausgestrahlt worden waren. Inzwischen hatte er die Waffe versteckt, im tiefen Wald, wie er sagte, aber das Geld wurde fast vollzählig in seiner Wohnung gefunden. Er hatte Morgan nicht verraten. Der hatte es großartig und unglaublich gefunden, daß der andere dem Druck widerstanden und die Strafe allein auf sich genommen hatte. Niemand hatte jemals so etwas für Morgan getan. Erst nachher war dieses Gefühl entstanden, das Gefühl, in unendlich tiefer Schuld zu stehen. Und noch später war im Besucherzimmer die kleine Anspielung gefallen.
    Wenn ich rauskomme, habe ich nichts. Weißt du vielleicht einen Rat?
    Der Überfall auf die Fokusbank war nur der Anfang. Hunderttausend Kronen, für jeden die Hälfte, würden nicht lange vorhalten. Er kannte seinen Freund, kannte seinen Verbrauch und seinen Durst. Wenn er das Geld ausgegeben hatte, würde er sofort auf der Matte stehen. Morgan dachte
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