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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones?
Autoren: Craig Silvey
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und rußverschmiert. Jemand fragt ihn etwas, und er schüttelt matt den Kopf.
    Als etwas mit lautem Knall explodiert, stockt der Menge der Atem. Ich höre Glas splittern. Alle, bis auf Eliza, zucken zusammen. Die Helfer bellen Kommandos und bewegen sich mit großer Dringlichkeit. Es sind noch mehr Menschen aufgetaucht, um zu helfen oder zuzuschauen. Manche stehen da wie Stierkämpfer, mit feuchten Decken um die Schultern, für den Fall, das Flammen überspringen sollten, und sie beten, dass der Wind nicht zunimmt.
    Mir tränen die Augen, und ich huste gegen meine Schulter. Es wird immer schwieriger zu atmen. Der Himmel ist rot und voller Ascheflocken. Eine australische Schneekugel.
    Ich fahre mir mit dem T-Shirt über die Augen und sehe mich nach Eliza um, versuche ihren Blick abzufangen. Doch sie starrt einfach nur stur geradeaus. Ich kann ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. Eine Frau bietet ihr Wasser an und spricht freundlich auf sie ein, doch Eliza beachtet sie gar nicht und schüttelt ihre Hand von der Schulter.
    Aus irgendeinem Grund erinnert mich das an den verhärmten und zornigen Eric Cooke, als man ihm die entscheidende Frage stellte.
Ich wollte einfach jemandem weh tun
, hatte er geantwortet. Doch das war nicht die ganze Geschichte gewesen. Nur er wusste das und verschloss seine Geheimnisse fest in der Hand und in seiner Brust. Es verbirgt sich immer mehr hinter einer Geschichte. Immer. Das Geheimnis wird einfach von der Historie überlagert. Oder ist es umgekehrt? Wird es herausgerissen und in einem anderen Rätsel verpackt? Ich denke an Jenny Likens, die ebenfalls ihre Schwester sterben sah und bis zum Ende schwieg, die sich erst ein Herz nahm, als es zu spät war. Und in der es danach an jedem einzelnen Tag gebrodelt und gebrannt haben muss, deren Herz schlimmer verkrüppelt gewesen sein muss als ihre Beine und die sich gewünscht haben muss, sich das Wort wie eine Tätowierung in die eigene Haut zu ritzen und zu brennen.
Verzeihung.
Zweifellos hätte auch sie sich gewünscht, mit anzusehen, wie jenes schreckliche Haus von Flammen verzehrt, eliminiert und ausgemerzt wurde, vielleicht sogar mit Gertrude Baniszewski darinnen.
    Nach etwa einer Stunde sind die Flammen mehr oder weniger gezähmt. Das Haus ist ausgebrannt und das Dach eingestürzt. Es ist eine leere schwarze Hülle. Der Rauch verzieht sich, und das Abendlicht von Corrigan leuchtet in einem unwirklichen Rot. Es scheint, als habe sich die halbe Stadt hier versammelt. Eliza hat sich nicht vom Fleck gerührt. Sie steht dort ganz allein. Ihr Vater wurde mit dem Ambulanzwagen abtransportiert. Ihre Mutter wird von einer Gruppe Frauen bemitleidet, die sich eng um sie geschart haben und sie mit Trost und Taschentüchern versorgen.
    Hinter mir fangen die Leute leise an zu rätseln, wie alles angefangen haben könnte. Herdplatten, Gaslecks, fehlerhafte Drähte, offene Feuerstellen, Zigaretten – sämtliche Möglichkeiten werden aufgezählt und mit einem Nicken bedacht. Niemand wirft auch nur einen flüchtigen Blick auf das Mädchen, das mit versteinerter Miene allein dasteht und ohne Schrecken oder Bedauern auf die Überreste seines Elternhauses starrt.
    Und dann spricht es jemand aus, wie ich es erwartet hatte. Sie reden über das Postgebäude, wie ich es erwartet hatte. Und natürlich widmen sie sich der Sache eingehender, als sie es wert ist. Als ich seinen Namen höre, spüre ich wieder diesen Kloß im Hals und ein Ziehen in meiner wunden Brust. Ich würde am liebsten zusammenbrechen. Ganz ehrlich.
    Denn ich kenne die Wahrheit. Ich kenne sogar den genauen Moment, in dem Jasper Jones Corrigan für immer verlassen hat. Es war vor zwei Wochen. Ich war auf der Straße, beim Cricketspielen mit Jeffrey, und ging in der trockenen Hitze gerade zu meinem Anlaufpunkt zurück. Ich weiß nicht genau, wie es kam, aber ich blieb stehen, hob den Kopf und wusste in diesem Moment, dass er fort war. Später am gleichen Abend fand ich die Bestätigung, als ich auf meiner Fensterbank eine Flasche Whiskey, eine Packung Zigaretten und einen Füllfederhalter entdeckte. Doch in jenem Moment hatte ich
gespürt
, dass er ging. Ich
wusste
es. Ich betrachtete die stille Straße, die aufgereihten Vorgärten, die geschlossenen Türen und das von den Windschutzscheiben weiß reflektierte Sonnenlicht, und das einzige Geräusch war die Kakophonie der Insekten. Keine Suchflugzeuge. Keine Suchaktionen. Nichts rührte sich. Jasper Jones fiel aus der Welt, und niemand bemerkte es.
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