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Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Titel: Wer einmal auf dem Friedhof liegt...
Autoren: Léo Malet
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Tochter in
Verbindung standen, nicht wahr?“
    „Ja. Ich war gestern morgen mit ihr verabredet.“
    „In Ihrer Eigenschaft als Detektiv?“
    „In meiner Eigenschaft als Detektiv,
ja.“
    „Hat meine Tochter Sie schon länger
engagiert?“
    „Nein, sie hat mich vorgestern
angerufen. Von ,engagieren’ konnte noch keine Rede
sein. Ich weiß nicht mal, weshalb sie mich angerufen hat. Darüber wollten wir
gestern morgen reden.“
    Er scheint eine Weile nachzudenken.
Jedenfalls streicht er sich mit seiner knochigen Hand übers Kinn. Dann hebt er
den Kopf, sieht mich prüfend an, seufzt und sagt mit heiserer Stimme:
    „Das ist jetzt auch nicht mehr
wichtig. Er hat sie getötet und sich dann selbst gerichtet. Damit entgeht er
seinem Prozeß... Na ja, alles, was mit meiner Tochter zu tun hat, interessiert
mich. Auch wenn sie tot ist... Ich wollte nur wissen, warum sie einen Privatdetektiv
angerufen hat. Aber da Sie selbst das auch nicht wissen...“
    „Ich vermute, daß sie Schutz suchte.
Wahrscheinlich kam ihr Mann ihr plötzlich seltsam und unheimlich vor,
gefährlich. Sie kannten ihn doch. War er nicht ein ganz klein wenig verrückt?“
    „Kennen wäre zuviel gesagt. Er hat
sich wie ein Dieb bei uns eingeschlichen. Er, ein Herr reiferen Alters, hat
Jeanne verführt. Und als sie schwanger war, mußten wir natürlich zustimmen, daß
er seinen Verpflichtungen nachkam...“
    An diese Taktik habe ich gestern bei
der Lektüre des Familienbuchs auch schon gedacht!
    „Jeanne liebte ihn übrigens, diese
dumme Gans“, fährt der Alte fort und lacht bitter. „Nein, er war nicht
verrückt. Ganz im Gegenteil, sehr clever. Er wußte genau, was er tat, als er
meine Tochter verführte. Hat auf mein Vermögen spekuliert. Aber da hatte er
sich verrechnet. Keinen Sou hat er gekriegt! Nur das Haus in der Rue
Alphonse-de-Neuville hab ich den beiden überlassen. Ich war wütend, auch auf
meine Tochter. Wir hatten sozusagen keinen Kontakt mehr. Von Zeit zu Zeit traf
sich meine Frau mit Jeanne, um ihr die kleine Rente zukommen zu lassen, die ich
ihr — nur ihr! — ausgesetzt hatte. Für ein Dienstmädchen und ihre Toilette. Für
ihn keinen Centime! Er war gezwungen, weiterhin zu arbeiten. Bei Dugat, der
Autofirma in Levallois. Das hatte er sich schön ausgedacht: durch diesen Trick
sein Leben zu verbessern...“
    Die Augen von Monsieur Labouchère
blicken ins Leere. Er sieht seinen Schwiegersohn frühmorgens auf dem Weg in die
Fabrik, sieht, wie er seinen Kittel überzieht — den Kittel eines höheren
Angestellten zwar, aber immerhin den eines Angestellten — und in die lärmende
Fabrikhalle geht. Eine absurde Situation! Mit einer reichen Erbin verheiratet
sein, in einer Villa wohnen und trotzdem in einer Fabrik arbeiten. Nicht, weil
es ihm Spaß macht, sondern aus demselben Grund wie jeder x-beliebige Arbeiter:
um was zu fressen zu haben!
    Ich sehe Labouchère an, der sich mit
der Zunge über die Lippen fährt. Seine Rache scheint ihm immer noch süß zu
schmecken. Wie oft hat er sich wohl am Abgrund des Todes bewegt, ohne es zu
wissen? Désiris wird so manches Mal daran gedacht haben, ihn um die Ecke zu
bringen, bevor er dem Leben seiner Frau und seinem eigenen ein Ende gemacht
hat. Sie haben es nicht anders gewollt. Dieser Satz ist an Jeannes Vater
gerichtet.
    Der Alte kommt wieder auf die Erde
zurück und merkt, daß ich vor ihm sitze.
    „Ich weiß nicht, warum ich Ihnen das
alles erzähle“, sagt er.
    „Ich auch nicht. Vielleicht haben Sie
das Bedürfnis sich auszusprechen. Ein menschliches Bedürfnis“, füge ich hinzu.
    „Vielleicht, weil Sie mir sympathisch
sind.“
    Ich gebe keine Antwort. Geschmeichelt
fühl ich mich nicht. Mir ist es scheißegal, ob ich ihm sympathisch bin oder nicht. Weder für ihn noch für seinen Schwiegersohn kann
ich eine Spur Sympathie empfinden. Und für seine Tochter... Na ja, gegen ein
Minimum an Mitleid kann ich mich nicht wehren. Ich komme ins Grübeln. Armes
Mädchen! Und so häßlich! Der Körper war ganz hübsch — ich konnte mich gestern
davon überzeugen — aber, großer Gott! Was für ein Gesicht! Wie’n Feuermelder.
Die Männer haben bei ihr bestimmt nicht in Zweierreihen Schlange gestanden. Und
als Désiris sich mit seinen Hintergedanken an sie rangemacht hat... Der
Altersunterschied hat sich wohl nur in dem Sinne geäußert, daß Jeanne sich Hals
über Kopf verliebt hat. Hinterher wird sie’s bereut haben. Nicht sehr
lustig, hat Mariette die Ehe charakterisiert. Eher wie
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