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Wer Bist Du, Gott

Titel: Wer Bist Du, Gott
Autoren: Anselm Gruen
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ganz und gar von Gott geliebt. Das soll ich nicht nur im Kopf, sondern mit dem ganzen Wesen glauben. Es ist die Grundtatsache meines Lebens.Wenn ich an diese erste Liebe Gottes glaube, dann kann ich mich auch mit der zweiten Liebe Gottes aussöhnen, mit der mich die Eltern lieben, die Erzieher, die Kirche. Auch die Kirche liebt mich, aber ich bin nicht zufrieden mit dieser Liebe, sie könnte besser sein. Aber wenn ich um die erste Liebe weiß und mich immer wieder daran erinnere, dass ich der geliebte Sohn, die geliebte Tochter bin, dann kann ich auch mit der zweiten Liebe leben.«
    Wenn ich aber in meinem Innersten Liebe erfahren habe, mein Innerstes durch die Liebe eines anderen berührt worden ist, bin ich auch sensibel für den Bruder und die Schwester, die Mitmenschen. Dann schlägt mein Herz nicht nur für mich, dann schlägt es auch für sie. Dann kann ich nicht anders, als Trauer zu empfinden angesichts der Not und des Schmerzes meiner Mitmenschen. Mein Innerstes kann dann nicht anders, als sich zu melden, in Bewegung zu geraten. Es bewegt mich etwas, sagt man oft. Doch das ist zu schwach formuliert, um auszudrücken, was in mir geschieht, wenn ich mit großem menschlichen Leid konfrontiert werde. Mein Innerstes bewegt sich. Hier hilft das Bild von den »Eingeweiden« als Bild für das Herz des Menschen. »Meine Eingeweide ziehen sich zusammen« als unmittelbare, selbstverständliche menschliche Reaktion auf eine spürbare Not meines Mitmenschen. Ich zucke zusammen, bleibe nicht
ungerührt. Meine Tränen werden in meiner Tiefe entbunden, entstammen dem Grundwasser meiner Seele.
     
     
    ANSELM GRÜN: Wenn ich die Erfahrung menschlicher Liebe zulasse und mein Herz davon aufbrechen lasse, und wenn ich zugleich durch die menschliche Liebe hindurch immer wieder in Berührung komme mit der göttlichen Quelle der Liebe auf dem Grund meiner Seele, dann muss ich mich nicht zur Nächstenliebe zwingen. Dann ist die Nächstenliebe nicht nur ein moralisches Gebot, das ich mit großer Kraftanstrengung zu erfüllen suche. Vielmehr ist dann mein Herz auch offen für die Menschen, denen ich in der Arbeit begegne, und für die Menschen, von deren Leid ich höre.
    Die Liebe ist dann nicht nur eine Pflicht. Sie ist eine Qualität, mit der ich den Menschen begegne. Und ich spüre, dass ich dann nicht Taten der Nächstenliebe vorweisen kann - wie ich das in meiner jugendlichen Frömmigkeit immer tun wollte -, sondern dass die Liebe einfach da ist. Sie ist still. Mit ihr lässt sich nicht angeben. Aber ich begegne den Menschen mit Liebe. Ich kreise dann nicht narzisstisch um mich und meine großen Taten der Nächstenliebe. Ich lasse der Liebe einfach Raum in allem, was ich tue, und in jeder menschlichen Begegnung.

Gott ist die Liebe - Konkretionen und Konsequenzen
    WUNIBALDMÜLLER: Die Hinwendung zum Du, zum anderen Menschen, die Offenheit dazu, mithilfe meines Innersten das Innerste des anderen Menschen zu erspüren und mich von meinem Innersten zum Innersten der anderen Person führen zu lassen, gehören für mich fundamental zu jedem spirituellen und mystischen Weg. Würde mich der Weg allein zu meiner Mitte führen, würde sich dieser Weg auf die Konzentration auf mich beschränken, würde er mich unsensibel für die Not meines Nächsten machen, wäre er für mich nur halb gegangen und letztlich unakzeptabel.
    Ich kenne spirituelle Menschen, die im Namen Gottes sprechen und tätig sind, die lieben, wirklich lieben und geliebt werden. Sie leben in verbindlichen Beziehungen, erfahren darin Liebe. Ich kenne auch andere, anscheinend spirituelle Personen, die tagtäglich in »Sachen« Gottes unterwegs sind, die Liebe ständig im Munde führen und dabei ein Leben führen, das gekennzeichnet ist von unverbindlichen Beziehungen. Sie leben den puren Narzissmus, der sich in Unverbindlichkeit und einer Eigenliebe manifestiert, die am eigenen Ich hängen bleibt und nicht den Sprung zum andern wagt. Sie suchen und finden die Bewunderung anderer, weil ihre Worte gar so schön klingen. Doch es bleiben nur Worte. Ihre Spiritualität bleibt gestutzt. Sie vermag nicht, in den eigenen Herzbereich einzudringen, vernebelt die eigene Unerlöstheit und leistet keinen Beitrag zur Liebesfähigkeit.

    Ich habe daher auch Probleme mit Meistern, die sehr viele Stunden am Tage - und das ein ganzes Leben lang - nur sitzen oder in der Welt herumfahren, Vorträge halten, sich zwischendurch auf ihrer Datscha meditierend entspannen, unberührt von der
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