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Wer Bist Du, Gott

Titel: Wer Bist Du, Gott
Autoren: Anselm Gruen
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Stimme in unserer konkreten Wirklichkeit unseres Leibes, unserer Seele und unserer Beziehungen hören, dann sind wir nicht in Gefahr, Spiritualität als Flucht vor dem Leben zu benutzen. Dann weichen wir dem Leben nicht aus. Vielmehr will uns Gott in das wahre Leben führen, in das Leben, das unserem Wesen und unserer innersten Wahrheit entspricht.
    Wir haben dieses Buch natürlich auch für uns selbst geschrieben. Denn ich kenne aus meiner Jugend die »Spiritualität von oben«. Ich habe mich mit Idealen von Heiligen identifiziert. Das war nicht schlecht. Denn das hat mich auf den Weg gebracht, an mir zu arbeiten. Aber irgendwann habe ich die Gefahr bei mir gesehen, dass meine Ideale zu sehr von meiner konkreten Wirklichkeit abweichen, dass ich die Regungen meiner Seele, meines Unbewussten, nicht mehr hören wollte, weil sie diesen Idealen widersprachen. So war ich in Gefahr, zweigleisig zu leben. Das hätte mich in eine innere Spaltung geführt.

Liebe und Freundschaft spielen die wichtigste Rolle im Leben
    WUNIBALDMÜLLER: Ich spreche hier von »dynamischer Spiritualität« (vgl. Müller 2007). Verständnisvoll, freundlich, gütig zu sein, ist zweifellos ein hohes Gut. Menschen, die einer spirituellen Abkürzung zum Opfer fallen, konzentrieren sich aber oft so sehr auf die Erfüllung ihrer Ideale, die sie mitunter als eine absolute göttliche Wahrheit verstehen, dass sie die relative menschliche Wahrheit dabei übersehen. Sie überspielen dann die eigene Befindlichkeit, ihre wahren Gefühle. Wir kommen aber unserer persönlichen Wahrheit näher, wenn wir das, was wir wirklich spüren, zulassen und herauszufinden versuchen, was es bedeutet. Dies führt zu einer tieferen Wahrheit, die uns näher an das heranbringen kann, was unsere Wahrheit ist.
    Eine dynamische Spiritualität will weiter dazu beitragen, dass Menschen zueinanderfinden und in ihren Beziehungen und Begegnungen die Erfahrung machen dürfen, geliebt zu werden. Die Bedeutung und der Wert einer Spiritualität werden daran gemessen, ob sie dazu beiträgt, Menschen zur Liebe zu befähigen. Eine Spiritualität, die nicht Ausdruck von wirklicher, geerdeter menschlicher Liebe und darin zugleich auch Gottesliebe ist, bleibt schal und unnütz. Sie vermag nicht zu nähren und zu tragen.
    Eine dynamische Spiritualität lädt uns dazu ein, uns nach links und nach rechts zu unseren Mitmenschen auszustrecken. Sie ist Ausfluss unseres Herzens und trägt dazu bei, uns für unseren Nächsten, für andere Menschen zu öffnen, sodass unser Herz für sie schlägt. Sie zeigt sich in der Fähigkeit,
andere zu lieben, mit anderen mitfühlen zu können und aus diesem Mitgefühl heraus für andere da zu sein.
    Wem die Nahrung, die aus guten zwischenmenschlichen Beziehungen hervorgeht, vorenthalten wird, der wird hungrig bleiben. Er und sie werden versuchen, ihren Hunger anderswo zu stillen. Sie werden versuchen, die Nahrung, nach der sie verlangen, durch Erfolg, Arbeit und vieles andere mehr zu erreichen. Mancher mag versuchen, durch spirituelle Höhenflüge seine Sehnsucht nach Liebe und bedingungsloser Annahme zu nähren. Er wird aber immer wieder auf den harten Boden der Wirklichkeit fallen, wenn er nicht wirklich durch die Erfahrung von Liebe genährt worden ist.
    Wer niemals Liebe erlebt hat, wer nie mit echten, wahren, menschlichen, lebendigen und lebendig machenden Gefühlen einen realen, konkreten, einzigartigen Menschen geliebt hat und von ihm geliebt worden ist, kann zwar endlos über die Schönheit und Freude göttlicher Liebe reden, wird jedoch auf jemanden, der die Agonie und die Ekstase der Liebe in der Realität erfahren hat, nicht sehr überzeugend wirken. Der Philosoph Paul Feyerabend kam erst wenige Tage vor seinem Tod zu der Erkenntnis: »Heute scheint es mir, dass Liebe und Freundschaft die wichtigste Rolle im Leben spielen und dass ohne sie selbst die höchsten Errungenschaften blass, leer und gefährlich bleiben.«
     
     
    ANSELMGRÜN: Als eheloser Mönch habe ich lange gedacht, die Liebe zu Gott und die allgemeine Nächstenliebe, zu der uns die Bibel und die geistliche Tradition anhalten, würden für meine Spiritualität genügen. Dann hat mich die
konkrete Erfahrung einer Liebe zu einer Frau eines anderen belehrt. Diese Erfahrung hat zunächst mein spirituelles Lebensgebäude erschüttert. Doch dann hat mich diese Erfahrung gelehrt, anders von Gottes Liebe zu sprechen. Sie hat mich herausgefordert, mir klar zu werden, wie ich authentisch als eheloser
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