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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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vor.
    »Ich will mich ja nicht in Ihre Bekanntschaften einmischen«, sagte er vorsichtig, »aber was Brenner angeht, so sollten Sie ihm kein Geld anvertrauen.«
    Sie sah ihn verwirrt an.
    »Wieso nicht?«
    »Oder haben Sie das schon getan?«
    »Nein, natürlich nicht. Aber warum sagen Sie so etwas?«
    »Ersparen Sie es mir, ins Detail zu gehen«, sagte er, »ich stelle andere nicht gern bloß, aber ich gebe Ihnen einen guten Rat, und Sie täten gut daran, den zu befolgen.«
    Jetzt schaute sie gequält. Sie bat ihn herein, und dann redeten sie eine halbe Stunde lang miteinander. Auf der Rückfahrt im Auto dachte er wieder an das perlende Lachen, das er durch das Fenster gehört hatte. Herrgott, dachte er, ich darf es nicht gegen sie verwenden, dass sie einen glücklichen Augenblick erlebt hat. Aber er vergaß es auch nicht, die Erinnerung war wie ein Stich und juckte in seinem Bewusstsein.
    Wilfred Arent Brein betrachtete das Leben auf der anderen Seite des Zellenfensters. Er hatte sich im Gefängnis gut eingelebt. Vor den anderen Häftlingen kroch er zwar wie ein Hund, er krümmte den Rücken, er redete leise und undeutlich. Er hatte Angst vor der Verurteilung durch die anderen und ging ihnen wie ein Diener zur Hand, er lieh ihnen Geld, er spendierte Zigaretten. Auf diese Weise hatte er seine Ruhe, und das wollte er. Die Tage verliefen nach einer festen Routine, er fühlte sich in der Werkstatt wohl, das Essen schmeckte ihm. Er half gern in der Küche aus, wegen der vielen Gerüche und der Wärme, die der Herd ausstrahlte, wegen der großen, dampfenden Kessel. Nachts schlief er ziemlich gut, auf der Pritsche zusammengerollt, die Knie angezogen. Er musste zehn Jahre absitzen, danach würde er in die Gesellschaft zurückkehren, in sein einsames Rentnerdasein, als derselbe Mann mit derselben Leidenschaft für Kinder. Was die Entlassung anging, so dachte er nicht viel daran, das Leben draußen stellte keine Verlockung dar. Niemand würde ihn aufnehmen, er wäre sich selbst überlassen, seinen Schmerzen und seinen Sehnsüchten. Ab und zu setzte ein Gefängniswärter sich zu einem Plausch zu ihm, dann redete er sich warm und sprach über große und kleine Dinge, über seinen Vater, um den er sich doch hätte kümmern sollen, über das letzte Buch, das er gelesen hatte und das so traurig endete. Die Gesellschaft hatte ihn bereits vergessen, neue Morde geschahen, neue kriminelle Taten, die genau geplant waren, schnöde Verbrechen, bei denen es um Geld ging, sie waren natürlich schlimmer als seine eigenen, die er doch nie gewollt hatte. Er selbst wurde von Leidenschaft getrieben. In diesem Punkt war er sehr entschieden, dieser Aspekt rettete ihn, sorgte dafür, dass er nachts schlafen konnte, er schlief traumlos.
    Aber jetzt war also Frühling, grün und keimend. Die Jugend blühte wie der Krokus in den Beeten, sie entfaltete sich und schwärmte aus, sie stand an Straßenecken, sie stand in Parks. Auf dem Hof Fagre Vest waren die Felder endlich schneefrei, und vor Svartåsen war eine kleine Anhöhe mit einigen Büschen zu sehen, die wie ein Inselchen mitten im Feld lag und mit schönen Ebereschen bestanden war. An einem frühen Abend im April ging eine Gruppe von Jugendlichen zum Bonnafjord hinab, eine von ihnen war Signe Lund, die Kassiererin aus dem Supermarkt. Sie hatte ihre apfelgrüne Uniform durch einen roten Minirock ersetzt, ihre runden Knie waren nach dem langen Winter weiß wie Milch. Mit ihr zusammen war ihre Kusine Mai-Britt, klein und mollig, mit einer orangeroten Mähne, sie zog an einer Benson & Hedges. Vor ihnen gingen Ellemann und Rolf und bestimmten die Richtung, und Signe ahnte, wohin es ging, im Hügel auf dem Feld gab es einen Erdkeller, den sie das Knutschloch nannten, dort hatte sie im vergangenen Sommer ihre Unschuld verloren. Sie war erfüllt von ängstlicher Freude, denn sie wollte, und sie wollte doch nicht, aber so war das Leben, die Jungen sollen bekommen, was Jungen eben haben wollen, sie wollte nicht prüde sein. Mai-Britt wollte das ebensowenig. Sie überquerten die Felder und stupsten einander verspielt an, sie waren so lebendig, dass ihnen alles zuzutrauen war. Es war anstrengend, über die feuchte Erde zu gehen, und sie hatten Angst, der Bauer von Fagre Vest könnte sie vom Fenster aus entdecken und seinen Schäferhund auf sie hetzen. Doch dann erreichten sie ihr Ziel. Sie setzten sich auf eine Steinplatte, die Jungen umkreisten die Mädchen, wie ein Schäferhund seine Schafe umkreist, aber
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