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Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben

Titel: Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben
Autoren: Bernd Stelter
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unterstützen den Nachwuchs dabei, wenn der sich abnabelt, und helfen ihm auf diese Weise, erwachsen zu werden.
    Väter tun das nicht. Der berühmte Satz »Schatz, wir waren doch auch mal jung« wird fast immer nur von Müttern ausgesprochen. Gut, es gibt eine Ausnahme: Wenn der sechzehnjährige Sohn hackenbreit von der Silvesterparty kommt, dann setzt auch beim Vater ein rudimentärer Rest von Erinnerung ein. Da lächelt er milde und sagt: »Geh ins Bett, und schlaf deinen Rausch aus.«
    Ich glaube, es gibt eine sehr einfache Möglichkeit, Männer zu verstehen. Der Mann lebt in einer Sitcom. Sitcom, das ist diese lustige Fernsehsendung, die jeden Freitag auf RTL kommt. Egal, ob sie nun amerikanischer Herkunft ist – das erkennt man daran, dass an den unmöglichsten Stellen Lacher vom Band kommen –, oder ob sie in Hürth-Kalscheuren gedreht wird, egal, ob der Protagonist nun Moderator einer Heimwerkersendung, Kassiererin im Supermarkt oder Schuhverkäufer ist, eins haben all diese Sitcoms gemeinsam: Die Zeit vergeht nicht. Sie steht.
    Wissen Sie, warum Frau Beimer in der Lindenstraße noch nie Muttertag gefeiert hat? Weil die Lindenstraße immer donnerstags spielt. Und jetzt versuchen wir, den Mann zu verstehen. Für ihn ist immer Donnerstag, die Tochter ist immer acht, und er ist immer potent bis zum Abwinken, zumindest sieht er das so.
    Wenn die Tochter zum ersten Mal einen jungen Verehrer mit nach Hause bringt, dann kann der Mann nicht verständnisvoll sein. Für ihn gibt es nur eine einzige Möglichkeit: Er ist beleidigt. Er fängt Liebesbriefe ab, um von einem Grafologen die Handschrift dieses jugendlichen Rivalen auf charakterliche Defizite überprüfen zu lassen. Er zersticht Mofareifen mit dem Küchenmesser, er entfernt Maibäume von der Hauswand, bevor die Tochter nach dem Aufwachen derer ansichtig werden kann. Er kann nicht anders, er hat das so gelernt. Er hat schon als Sechsjähriger zu seiner Mama gesagt: »Der Papa hatte es gut, der konnte dich nehmen, ich muss mir eine Wildfremde suchen.«
    So überschreitet der Mann irgendwann die magische Grenze, hinter der das Alter mit einer »Vier« beginnt. Macht nichts, denkt sich der Mann. Es ändert sich nichts, es ist Donnerstag.
    Das hat bis dahin auch ganz gut geklappt. Der Mann bleibt automatisch gesund, das ist nun mal so unter vierzig, die Avancen der Liebhaber der Töchter halten sich noch in Grenzen. Potenzschwierigkeiten gehören ins Reich der Fabeln oder in die Fernsehwerbung. Donnerstag!
    Nun kommt der vierzigste Geburtstag. Da leidet der Mann natürlich. Warum vierzig? Und warum ausgerechnet ich? Brad Pitt bleibt auch immer neununddreißig. Erste Herbstdepressionen schleichen sich in seinen Jahresablauf, aber er kann sie besiegen, er kann sich am eigenen Schopf wieder rausziehen, schließlich verändert sich nichts, es mag Herbst werden, aber es bleibt Donnerstag.
    Klingt komisch? Mag sein, aber so sieht er das, der Kerl unter den Männern. Wenn er in der Zeitung liest, dass irgendein Hinterbänkler im Bundestag Fahrtüchtigkeitsprüfungen für Siebzigjährige vorschlägt, dann hat er alle Vierzigjährigen auf seiner Seite. Behauptet derselbe Volksvertreter, dass Männer über vierzig automatisch die eine oder andere Dioptrie zulegen und deshalb zu einem obligatorischen Sehtest antreten sollten, dann ist das eine blinde Nuss, der soll doch nicht von sich auf andere schließen. Der Mann sieht noch ganz genauso scharf wie an jedem Donnerstag vor zwanzig Jahren.
    Es finden ungeheure Veränderungen im Körper des Mannes statt. Zur Ehrenrettung meiner Spezies darf ich nun sagen: »Er kriegt das mit. Der Mann über vierzig merkt das. Er merkt, da stimmt irgendwas nicht mehr.« Wobei man dazusagen muss, der Körper gibt sich auch wirklich Mühe, damit er das mitkriegt.
    Der Mann vernimmt den klingelnden Wecker, schwingt seine Beine behände aus den Federn und bemerkt sodann: »Verdammter Mist, die Knie tun schon wieder weh! Das war doch gestern auch schon so.« Ab vierzig ist man nicht mehr automatisch gesund.
    Und was der Körper nicht schafft, schafft die Familie. Der Mann hört morgens beim Frühstück: »Schatz, mit der neuen Brille siehst du fürchterlich aus.«
    »Aber, ich hab doch gar keine neue Brille.«
    »Nein, du nicht. Aber ich.«
    Es hat dann nicht mehr lange gedauert, und ich brauchte wirklich eine Brille. Ich hatte immer hundertfünfundzwanzig Prozent Sehkraft auf beiden Augen, und ganz plötzlich verschwammen beim Lesen die Buchstaben.
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