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Wenn nicht jetzt, wann dann?

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Titel: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Autoren: Anna Malou
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wirklich vermisst! Auch den Nachtisch kann ich auswählen, und ich entscheide mich zwischen Obst, Pudding und Kuchen für Eis.
    Das Essen schmeckt hervorragend, die Atmosphäre und Bedienung im Lokal sind ausgesprochen nett, und ich genieße diesen Abend mit meiner Begleitung im Gespräch. Zum ersten Mal seit drei Wochen habe ich das Gefühl, dass etwas schöne Kleidung, Essen und Atmosphäre nicht unwichtig sind, denn ich merke, dass ich anfange, diese für mich im »normalen« Leben selbstverständlichen Dinge zu vermissen.
    Auch schöne Abende haben ein Ende, und ich gehe, mit dem Blick auf den nächsten Tag und das frühe Aufstehen, gegen 23.00 Uhr in mein Quartier. Es ist wieder empfindlich kalt draußen, so mache ich meine Jacke zu und bin froh, als ich mein Zimmer erreiche.

24. Tag:
    Arzúa — Rúa (19 km), 28. Juni

    Heute bin ich früh wach, mache mich fertig und gehe gegen 7.00 Uhr los. Draußen ist die Luft klar und kalt, aus den Wiesen steigt langsam Nebel hoch. Ich bin warm angezogen — lange Hose, Fleece-Pullover und Wetterjacke, und trotzdem fröstele ich. Meinen Weg vom Quartier aus finde ich wieder nach dem sich wiederholenden Prinzip: Ich steuere die Kirche an, gehe von dort zur Pilgerherberge um die Ecke und finde dann den ersten gelben Pfeil, der mir die Laufrichtung zum Weg des Camino Santiago vorgibt.
    Es geht kurzfristig an der Straße entlang, bis der Ort Arzúa zu Ende ist und mein Weg seitlich ansteigt, um sich dann im Wald zu verlieren. Im Nu stecke ich mitten im Blätterdach, laufe zwischen hohen Farnhainen entlang, durch Buchenansammlungen und Eukalyptuswälder. Inzwischen lugt die Sonne zaghaft durch die Blätter, und in den Lichtungen steigt langsam der Nebel hoch. Welch ein Schauspiel der Natur! Mein Weg führt mich immer wieder bergauf und bergab, so wie ich es gewohnt bin; allerdings kann ich auf dem Waldweg gut laufen, da heute wenige Steine vorhanden sind und der Boden nahezu getrocknet ist. Schließlich finde ich den Kilometerstein, der mir Herzklopfen bereitet: 26 km bis Santiago de Compostela!
    Immer, wenn ich Waldstücke verlasse, laufe ich an Feldern mit Mais, an Gemüsegärten vorbei. Am Wegesrain wachsen Blumen, lila Fingerhut, rosa Malven, gelbe und lilafarbene Margeriten, blaue Glockenblumen, mit Ginsterbüschen versetzt. In den Orten finde ich weiterhin viele alte Häuser, mit Weinpflanzen umrankt, schön angelegte Hecken mit mannshohen Hortensienbüschen in Weiß, Rot, Rosa und Blau. Auch sehe ich immer wieder Palmen, riesige, hohe Bäume, Heckenrosen, Malvenbüsche, Fuchsien als hohe Rankgewächse am Haus. Die Luft duftet nach Blüten und frischer Erde, es gibt viele bunte Schmetterlinge und dicke, brummende Hummeln.

    Für mich ergeben sich viele Motive zum Fotografieren von wirklicher Schönheit — nur einer stört, und das ist der Mensch, der heute in Riesenansammlungen vertreten ist. Viele junge Leute laufen mit wenig Gepäck, Schulklassen, alle wollen die letzten 100 Kilometer Pilgerstrecke bis Santiago zu Fuß gehen. Dazwischen sehe ich aber auch »Luxuspilger«, die ohne Gepäck schnellen Schrittes vorankommen. Diese haben offensichtlich ihr Gepäck abgegeben und laufen organisiert, denn sie haben festgelegte Strecken und vorgebuchte Unterkünfte. Bequem, sicher, aber ich möchte das nicht. Ich genieße alles, was improvisiert ist, ich bin autark und mache Pause in meinem Rhythmus und lege die Länge meiner Wegstrecke selbst fest. Mein Rucksack stört mich nicht mehr, jedenfalls nicht, wenn ich ihn circa alle zwei Stunden absetze und Pause mache. Meine Füße haben sich inzwischen so gut an mein tägliches Laufpensum gewöhnt, dass es mir keine Mühe mehr macht und ich auch keine schmerzenden Füße habe. Es ist schon erstaunlich, wie belastbar der Mensch ist, wenn er ausreichend trainiert.

    Frühstück bekomme ich heute wieder unterwegs nach circa zweieinhalb Stunden Wegstrecke. Ich bin richtig hungrig, esse bocadillo mit Mettwurst und trinke café con leche. Auch im Gartenlokal ist viel los, ein ständiges Kommen und Gehen, wobei ich immer wieder mit Leuten ins Gespräch komme. Heute treffe ich auf auffällig viele Deutsche, sodass die Konversation völlig unproblematisch ist. Weiter geht es, inzwischen hat die Sonne Kraft bekommen, und es weht nicht mehr so ein kalter Wind wie gestern, sodass ich im T-Shirt laufen kann.
    In den Ortschaften, die ich durchquere, bemerke ich, dass viele Bauern Tierhaltung betreiben. Es gibt Hühner und vor allem Kühe, die
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