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Wenn nicht jetzt, wann dann?

Titel: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Autoren: Astrid Ruppert
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dass man Sachen, die nicht mehr perfekt, aber nach wie vor gut in Schuss waren, nicht aussortierte, sondern zu Hause trug. Gleichzeitig schonte man damit die guten Sachen. Weil Annemie sehr wenig »draußen« zu tun hatte, wenn man von den Einkaufsgängen zum Edekaladen einmal absah, die sich sehr gut mit Kleidern für »zu Hause« bewältigen ließen, besaß sie auch sehr wenig Garderobe für »draußen«. Da sie ebenfalls der Meinung war, Anziehsachen müssen aufgetragen werden, wäre sie niemals auf die Idee gekommen, sich einfach mal so etwas Neues für »draußen« zu kaufen. Rolf hatte diese Haltung stets sehr vehement unterstützt. »Die blaue Bluse ist doch noch gut. Wozu brauchst du denn eine neue blaue Bluse?« So kam es, dass Annemie, wenn sie sich schick machte, zwar adrett, aber auch hoffnungslos altmodisch aussah. Sie entschied sich dafür, ihren blau karierten Blazer anzuziehen. Die Goldknöpfe daran machten etwas her, fand sie. Sie hatte ihn schon viele Jahre, und er hatte ihr immer gute Dienste geleistet. Er war aus einem feinen Wollstoff in dezentem Karomuster gefertigt. Ein doppelter grüner und ein unterbrochener roter Faden durchzogen ein sattes Marineblau. Sie würde die dunkelblaue Stoffhose dazu anziehen, eine weiße Bluse, damit konnte man ja nie etwas falsch machen, und das kleine rote Tüchlein um den Hals binden. Sie hielt viel davon, wenn sich die Farben, die man trug, in den verschiedenen Kleidungsstücken wiederholten. Die dunkelblauen Slipper würden das Ganze komplett machen. Sie würde wirklich schick aussehen. Das Dumme daran war allerdings, dass sie sich dann immer schnell verkleidet fühlte: Sie zog sich so selten schick an, dass die ungewohnte Kleidung sie noch zusätzlich verunsicherte.
    Nachdem sie die Kleidungsstücke, die sie ausgesucht hatte, mit einem letzten prüfenden Blick auf dem Bett zurechtgelegt hatte, ging sie ins Bad, um sich ihrer Haare anzunehmen. Ihre Haare waren sehr fein. Sie hielten selten so, wie Annemie sich das vorstellte, aber sie waren noch immer blond, wenngleich das Blond auch stumpf und matt wirkte und nicht mehr so strahlte wie früher. Sie ging genau alle sechs Wochen zum Nachschneiden, und jedes Mal versuchte ihr Friseur Marcel, sie zu Highlights zu überreden oder wenigstens zu einer Farbglanzspülung. Aber Annemie fand es zum einen viel zu teuer, zum anderen lohnte sich das doch gar nicht. Für wen sollte sie auch glänzende Haare haben? Als sie an diesem Morgen in den Spiegel schaute, wünschte sie allerdings, sie hätte beim letzten Mal auf Marcel gehört. Ein wenig Glanz hätte jetzt gewiss nicht geschadet. Meistens föhnte sie ihr halblanges Haar einfach trocken. Nur zu besonderen Anlässen sprühte sie etwas Haarfestiger darauf und drehte Strähne für Strähne auf große Wickler, damit sie mehr Volumen bekamen.
    Als sie die Lockenwickler im Haar festgesteckt hatte, dachte sie, dass sie nun bei Liz nebenan nach dem Schlüssel für ihren Laden suchen sollte. Es war durchaus möglich, dass sie ihn nicht auf Anhieb fand. So nett ihre Nachbarin auch war, Ordnung gehörte wahrlich nicht zu ihren vordersten Tugenden.
    Sie nahm den Schlüssel zur Nachbarswohnung vom Schlüsselbrettchen, das hinter ihrer Tür hing, damit sie immer wusste, wo ihre Schlüssel sich befanden, und trat ins Treppenhaus. Kurz lauschte sie, ob auch niemand von oben herunterkäme und sich wunderte, was Annemie in Morgenrock und Lockenwicklern an der Tür nebenan zu schaffen hatte. Dann schritt sie beherzt zur Tat.
    In Liz’ Wohnung fand sie sich sofort einem bunten Durcheinander gegenüber, das davon zeugte, dass Liz am vorherigen Morgen in Eile gewesen sein musste. Im Flur lagen diverse Schuhe verstreut auf dem Boden, so als hätte Liz etliche davon durchprobiert und sich dann doch für keines der hier herumliegenden Paare entschieden. Annemie bückte sich, um sie aufzuheben und wegzuräumen, und fragte sich, ob Liz wohl einen Schuhschrank hatte. Sie schaute kurz in die Kommode, die dort stand, nicht um zu schnüffeln, so etwas lag ihr fern, sie hätte nur gerne die Schuhe weggeräumt. Unordnung ertrug sie einfach nicht gut. Annemie benötigte immer eine gute Übersicht. In der Schublade lagen – sehr unübersichtlich – allerlei gemusterte Tücher, Ketten und Mützen bunt ineinander verschlungen. Keine Schuhe. In der Schublade darunter lagen Glühbirnen, Werkzeug, ein Hüpfseil und Batterien neben einem Weihnachtsengel und einer Packung Kerzen. Das war es auch schon.
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