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Wenn Kinder um sich schlagen

Titel: Wenn Kinder um sich schlagen
Autoren: Ruediger Penthin
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mühevoller Arbeit aufgebaut worden war. Auf den fragenden Blick der Erzieherin sagte die Großmutter, dass Melanie immer so sei. Sie sei immer laut, wild und zerstörerisch. Hier im Kindergarten könne man ja versuchen, sie zu erziehen. Zu Hause funktioniere das nicht.
    Während die Erzieherin im Gespräch mit der Großmutter einige wichtige Dinge aus Melanies Lebensgeschichte erfuhr, versuchte die zweite Erzieherin Kontakt zu Melanie zu knüpfen. Sehr schnell spürte sie jedoch, dass sich Melanie Worten, Blicken und auch dem Versuch, sie liebevoll in den Arm zu nehmen, widersetzte. Sie beobachtete Melanie zunächst und erkannte ihre hyperaktive Unruhe und ihre fehlende Begeisterungsfähigkeit für eine Sache. Melanie wirkte
sprachlich unbeholfen und organisierte den Kontakt zu anderen Kindern weniger über Sprache, sondern mehr über Taten. Diese Taten waren stets zerstörerisch, sie zerriss die Bilder der anderen Kinder, brachte aufgebaute Türme zum Einstürzen, schlug und schrie. Mit der Zeit entwickelten die anderen Kinder eine regelrechte Abscheu gegenüber Melanie. Sie ließen sie nicht mitspielen, zogen sich von ihr zurück und attackierten Melanie in ihrer Hilflosigkeit ihrerseits mit Gewalttätigkeiten. Melanie zeigte sich unbeeindruckt. Letztlich verhielten sich die meisten Kinder ihr gegenüber ähnlich wie ihre Eltern.
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    Somit ist nun die zweite Stufe der problematischen Sozialentwicklung erreicht. Auch außerhalb der Familie , im Kindergarten oder später in der Schule, wurde Melanie für ihr Verhalten mit Ablehnung und Ausgrenzung bestraft - Erlebnisse, die Melanie jedoch nur in ihrem Verhalten bestärkten, da sie diese Art von »Aufmerksamkeit« genoss (vgl. Kapitel 4, »Mangel an emotionaler Wärme«, Seite 45 ff.).
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    Melanies ungünstige Entwicklung konnte im Kindergarten nicht aufgefangen werden. Die Erzieherinnen versuchten lenkend einzugreifen und empfahlen Heike immer wieder eine heilpädagogische Behandlung der Wahrnehmungsstörungen (s. Seite 36). Ihre Empfehlungen wurden von Heike jedoch nie umgesetzt. Melanie wurde im Kindergarten sprachheiltherapeutisch behandelt. Das über den Kindergarten eingeschaltete Amt für soziale Dienste (Jugendamt) zog sich nach Überprüfung der familiären Situation rasch wieder zurück, da Melanie aktuell keinen offenkundigen Misshandlungen ausgesetzt war und das wohnliche Milieu als akzeptabel eingestuft wurde. Auch in der Vorschulgruppe fiel sie durch ihr aggressives und immer wieder zerstörerisch wirkendes Verhalten auf. In der kleinen Gruppe mit 13 Kindern traf sie auch hier immer wieder
auf Ablehnung, sodass der Teufelskreis aggressives Verhalten - Ablehnung - verstärktes aggressives Verhalten usw. seinen Lauf nahm. Nur ein gleichaltriger Junge in ihrer Gruppe, Ron, hatte eine ähnliche problematische Sozialentwicklung. Auch er zeigte aggressives und zerstörerisches Verhalten.
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    Nach jahrelanger Ablehnung, die jedoch nur zur Verstärkung des aggressiven Verhaltens führte, da keine Verhaltensalternativen zur Verfügung standen, erlebte Melanie nunmehr erstmals Akzeptanz durch ein gleichaltriges Kind, das so war wie sie.
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    Melanie und Ron fühlten sich magisch zueinander hingezogen. Beide spürten, dass sie ein ähnliches Verhaltenssystem entwickelt hatten. Dieses Zueinander-hingezogen-Fühlen gab auch Ron erstmalig das Gefühl, jemanden zu haben, der ihn akzeptierte. Sie ärgerten gemeinsam ihre Mitschüler, prügelten und erpressten durch Androhung von Gewalt begehrte Spielsachen von anderen. Sie fühlten sich mit ihrem Verhalten gemeinsam äußerst stark. Auch beim späteren Übergang auf die normale Grundschule blieben sie zusammen und fanden Anschluss an zwei weitere Kinder, die so waren wie sie. Der Grundstein für eine Art »Grundschulgang« war gelegt.
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    Somit ist die dritte Stufe der Entstehung eines problematischen Sozialverhaltens erreicht. Die Kinder befinden sich innerhalb und außerhalb der Schule in einer Gruppe (Peergroup), in der alle Beteiligten ein ähnlich gestörtes Wertesystem und ein problematisches Gemeinschaftsverhalten haben. In dieser Gruppe fühlen sich die Kinder mit ihrem aggressiven Verhalten anerkannt. Sie verbringen viel Zeit am Nachmittag und Abend miteinander. Die Eltern dieser Kinder nehmen oft nur wenig Anteil an der Freizeitgestaltung. Die Kinder machen,
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