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Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures

Titel: Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures
Autoren: Colette Livermore
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war, sie priesen das in den Evangelien verankerte Ideal der Armut und den Dienst an den Armen, handelten aber nicht danach.
     
     
    Von Rom aus fuhr ich weiter nach Assisi, der Heimat des heiligen Franziskus, des Helden meiner Kindheit. Als ehemaliger Soldat wurde er zu einem Mann des Friedens, der Armut und ein Naturliebhaber. Obwohl durch die wunderschöne Stadt mit ihren Steinmauern die Touristen strömten, bewahrte sie seinen Geist. Unser Gästehaus befand sich gegenüber der Basilika San Francesco mit Blick auf das umbrische Tal. Die Kuppel der Basilika von Santa Maria degli Angeli leuchtete in der Ferne. Sie umschloss die winzige Kapelle von Portiuncula, wo Franziskus gestorben war. Wenn der Glockenklang sich im Tal ausbreitete, erstrahlte der Kreuzgang vor der Basilika des heiligen Franziskus im goldenen Schein der untergehenden Sonne. Ich stand in der Morgendämmerung auf und ging über das Steinpflaster zur Basilika. In den Blumenbeeten, die den Rasen des Vorhofs umgrenzten, stand PAX - FRIEDEN. Um diese Tageszeit waren keine Touristen unterwegs. Ich
umrundete ungestört die riesige Kirche, während die Mönche in ihren braunen Kapuzenkutten die Morgenandacht in einer Seitenkapelle sangen. Ich musste an meinen Onkel Toby denken und stieg dann hinab in die Krypta, in der Franziskus begraben war, um dort ganz still eine Weile sitzen zu bleiben und den Code des Lebens zu knacken, dem Unverständlichen einen Sinn zu geben.
    Im frühmorgendlichen Sonnenschein stieg ich die schmalen gepflasterten Gassen hoch. Geranientöpfe, Mosaike der Muttergottes und Friedensfahnen in Regenbogenfarben schmückten die Fassaden der Häuser. Hinter den Bogentoren der Stadtmauer säumten farbenfrohe Herbstbäume die Straße, die zu einem Olivenhain führte, der San Damiano umgab, wo Klara, die Franz gefolgt war, ihr karges Kloster hatte. Im späteren Verlauf des Tages stieg ich weiter hinauf auf den Hügel zu der schlichten Einsiedelei aus Stein, die um die Höhle herum erbaut war, in die Franz sich zum Beten geflüchtet hatte. Die Tauben auf dem Ziegeldach gurrten leise. Unter uns floss der Bach unter der gebogenen Steinbrücke hindurch und weiter in ein kühles Waldgebiet. Der Geist von Franz klang noch immer in mir nach.
    In anderen Städten wie Venedig, Siena, Ravenna, Florenz und Padua sah ich, wie die Kirche ihre Heiligen, die in ihrem Leben allem Materialismus abgeschworen hatten, ehrte, indem sie Teile ihres Körpers in goldenen Reliquienschreinen verwahrte und um ihre Gräber Basiliken errichtete. Als ich nach Rom zurückkehrte und durch die vatikanischen Souvenirshops schlenderte, fiel mir auf, dass auch Mutter Teresa feilgeboten wurde. Statuen und Medaillons
waren ihr zu Ehren gegossen worden, und Stücke ihres Habits in laminierten Karten wurden als Reliquien vertrieben.
    Auf dem Campo dei Fiori, dem Blumenmarkt, dachte ich darüber nach, wieso die Vertreter einer Kirche auf eine Weise handeln können, die ihren eigenen Lehren absolut konträr war. Damals um 1600 band die Kirche, die sich das »Liebe deine Feinde« auf die Fahne geschrieben hat, den nackten, geknebelten Dominikanermönch Giordano Bruno auf einen Scheiterhaufen und verbrannte ihn im Namen Gottes bei lebendigem Leib. Sein Verbrechen bestand darin, dass er Zweifel an den katholischen Doktrinen wie etwa der Eucharistie hatte und dem kopernikanischen Weltbild, wonach die Erde sich um die Sonne dreht, nicht abschwor. Seine düster brütende Statue beherrscht die Stände der Blumenverkäufer.
    Ich traf mich mit Schwester Regina und half ihr ein paar Tage lang, eine Abendmahlzeit für heimatlose und staatenlose Menschen auszurichten, die in einem Kellerraum in Nähe der Stazione Termini verteilt wurde. Einige Männer, hauptsächlich aus Osteuropa und Russland, bekamen auch ein Bett in einem angeschlossenen Gebäude, dem Obdachlosenheim vergleichbar, das wir gemeinsam in Melbourne geführt hatten. Tagsüber führte Schwester Regina mich durch San Gregorio, wo sich die Schwestern um gebrechliche und bedürftige Männer kümmerten, die in einem Klostertrakt in Nähe des Kolosseums und der Ruinen der Diokletianthermen aus dem Jahre 306 v. Chr. untergebracht waren. Die Schwestern hatten die Hühnerställe und Vorratsräume der Mönche in ein Kloster verwandelt.
    Ironischerweise benutzten die Schwestern in Rom Computer,
um an Mutter Teresas Heiligsprechung zu arbeiten. Ich bin mir sicher, dass sie das nicht für gut befunden hätte, und ich sehe sie direkt vor mir,
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